Einzelkaempfer
Ich lasse meinen Arm ein wenig baumeln und das Kribbeln geht allmählich zurück, das Problem scheint ehedem an Bedeutung zu verlieren, je mehr der Inhalt meiner Blase durch die Harnröhre ans Licht der Welt zu drängen versucht, was mich wundert, bin ich bisher davon ausgegangen alles ausgeschwitzt zu haben – doch noch kann ich’s halten.
Die Männer streifen sich weiße Handschuhe über. Einer rollt ein Tischchen herbei, auf welchem eine große, schwarze Mappe liegt, so eine, worin Grafiker ihre Präsentationsunterlagen herumtragen. Melody steht mit dem Rücken zu mir und versperrt mir komplett die Sicht auf das, was einer der Männer aus dem Kofferraum birgt. Nach jedem weiteren Tauchgang in den mickrigen Stauraum des Porsches lacht er freudig auf. Das Quartett ist durchgehend zufrieden mit der Fracht. Der Advokat wird immer unzufriedener mit unserem Ausguck. Ich bekomme schon Genickstarre vom Umschauen nach einem besseren Platz. Ein fröhlich erwartungsvoller Pfiff, wie Bauarbeiter ihn gelegentlich an hübsche Frauen richten, lässt mich zusammenzucken. Blacky reicht Melody ein schwarzes Kästchen, der tritt einen Schritt zur Seite, während er den Deckel öffnet, endlich ist die Sicht eine bessere. Eine Art Einweckglas, nur kleiner, mit blutrotem Deckel, kommt zum Vorschein. Es sieht aus, als wäre es versiegelt. Melody hält es in den schummrigen Lichtkegel einer alten Lampe. So sehr ich mich bemühe, kann ich nichts weiter als eine klare Flüssigkeit darin entdecken und fühle erneut meinen Harndrang. Schwimmt da etwas?
Die Filmmusik aus Dr. Schiwago ertönt piepend und Melody lässt beinahe das Gläschen fallen, vorsichtig versenkt er es wieder in die Ausbuchtung des Kästchens, fingert sein Handy aus dem Mantel und beendet den Soundtrack. Schlechte Neuigkeiten nehme ich an, denn jetzt wird er hektisch, bellt einige Silben in das Telefon, bedenkt seine Komplizen ebenfalls mit knappen Befehlen, rudert mit dem freien Arm und treibt die Männer zur Eile an. Er wirft einen Blick auf seine Uhr, sagt ›okee‹ und steckt das Handy in die Manteltasche. Jetzt geht alles recht schnell. Die Männer quatschen durcheinander auf Melody ein. Ich verstehe kein Wort, soviel scheint klar, es muss was schief gelaufen sein und das Quartett muss umdisponieren. Meine alten Knochen sind mittlerweile in der kauernden Haltung steif geworden, so dass ich wohl darauf warten muss, von einer Staplergabel aufgepickt und heruntergehoben zu werden. Kurz erinnere ich mich an meine erste und einzige Erfahrung als Staplerfahrer. Eine Palette Videorekorder sollte aus der obersten Ebene eines Versandlagers in Burbach – tja, die Dinger kamen schneller herunter, als gewünscht und mein Beschäftigungsverhältnis endete ebenso schnell. Künstlerpech, sagte der Lagerleiter grinsend. Meine Muskulatur ist kalt und ebenso steif wie meine Gelenke. Du bist immer so verspannt, sei doch mal lässig – was will Marie denn schon wieder hier, hau ab, such dir doch einen, der locker und flockig einem jeden ungefragt sein Hallööchen entgegenschmettert, umarmen, drücken, Küsschen links, Küsschen rechts! Hat sie dann ja auch getan, meine Ex. Ein wirklich schlechter Zeitpunkt sich mit alten Wunden zu befassen, wo mir die neuen genug zusetzen. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich blute. Offensichtlich habe ich mir die linke Hand am Rand aufgeschürft. Jammer jetzt bloß nicht, mahnt Kalle und verdreht die Augen.
15
Melody nimmt die Mappe und das Kästchen an sich, wird jedoch von Blacky zurückgehalten. Etwas Drohendes geht von ihm aus, er scheint der Boss zu sein, denn Melody reicht ihm die Sachen so galant herüber, als hätte er gar nicht vorgehabt sie zu behalten. Ich bin mir jedoch sicher, dass er die Ware gerne bei sich gehabt hätte, denn ich kenne die Art wie Diebe Dinge ihres Begehrens taxieren, bevor sie zugreifen. In der Tankstelle hatte ich einige Male die Gelegenheit zu solchen Beobachtungen und bislang konnte ich den Erfolg der diebischen Bemühungen ohne körperlichen Einsatz vereiteln. Der Wortwechsel zwischen Blacky-the Boss und Melody-the Lost geht im Getrommel des plötzlich herabprasselnden Regens unter. Das Rauschen des Wassers setzt mir sehr zu, erhöht der Klang den Drang – doch noch kann ich’s halten. Während ich meine Handwunde sauberlecke, die erst jetzt zu schmerzen beginnt, verschwindet Blacky mit der Beute hinter den Regalen und entzieht sich meinem Blickfeld. Melody erteilt einige Befehle und verlässt
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