Eis und Wasser, Wasser und Eis
Küchentischs, und so sitzen zu bleiben, bis Hunger oder Durst sie vernichteten – sicherheitshalber hob sie ihre Arme und stützte den Kopf in die Hände. Das wollte sie ihm nicht antun. Wenn sie sterben sollte, dann an einer Krankheit oder durch einen Unfall, nichts, worin er verwickelt war. Einen Atemzug lang zog vor ihrem inneren Auge ein Bild vorbei, sie sah ihren eigenen Kopf in einem grauen Meer auftauchen, aber nur ganz kurz, so kurz, dass sie es nicht einmal schaffte, den Mund zu öffnen und um Hilfe zu rufen, bevor die Kälte nach ihr griff und sie wieder unter die Wasseroberfläche zog, hinunter in das große Schweigen, das dem großen Schweigen gerade jetzt hier in der Küche so ähnlich war. Und nach dem Schweigen kam die Dunkelheit …
Sie blinzelte und schob den Gedanken beiseite. Blödsinn. Fantasien. Schließlich holte sie erneut Atem und fing noch einmal an:
»Ich wollte ja nur …«
Wieder unterbrach er sie, aber ohne sich umzudrehen und ohne sie anzusehen:
»Ich will nichts hören. Kannst du das nicht begreifen? Ich will deinen Mist wirklich nicht hören!«
Die Stimme bremste sie. Das war eine alte Stimme, müde und resigniert. Sie blieb eine Weile reglos sitzen und schaute seinen weinroten Rücken an. Er stand vollkommen still da, atmete kaum. So alt und dennoch so jung. Erst neunzehn Jahre. Bald zwanzig. Genauso alt, wie sie gewesen war, als sie zur Funkerausbildung nach Kalmar kam, und ebenso empfindlich, vielleicht noch empfindlicher. Entschlossen schob sie die Wut beiseite, die sich plötzlich in ihr regte, diese kleine Schlange mit gespaltener Zunge, die sie wortlos daran erinnerte, was er sie damals gekostet hatte, die Schlange, die von Scham und Angst flüsterte, von Schmerzen und Einsamkeit, um anschließend ihr kleines Reptilienlächeln zu zeigen und sie an alles zu erinnern, was ihm in den Schoß gefallen war. Berühmtheit. Erfolg. Geld. Sie holte tief Luft und zwang sich, die Vernunft anzuwenden. Das war doch nicht wichtig. Hier ging es doch nicht darum, was die Welt mit einem von ihnen gemacht hatte. Sondern darum, was sie mit ihm gemacht hatte.
»Verzeih mir«, sagte sie schließlich, doch ihre Stimme klang trocken. Als meinte sie das gar nicht.
Er antwortete nicht. Vielleicht hatte er sie gar nicht gehört. Er stand immer noch reglos da und kehrte ihr den Rücken zu. Sie blieb eine Zeit lang ebenso reglos sitzen, bis sie plötzlich aufstand und den Stuhl unter den Küchentisch schob. Es war unmöglich. Es brachte nichts. War sinnlos. Björn wollte sie weder ansehen noch mit ihr reden. Ganz leise glitt sie über den Küchenfußboden, blieb dann aber an der Tür stehen und warf ihm einen letzten Blick zu. Immer noch reglos. Sein glänzendes Haar fiel nach vorn und verbarg sein Gesicht. Sie konnte ihn nicht sehen. Nicht wirklich. Dann trat sie über die Schwelle und ging lautlos auf den Flur.
Verdammte Scheiße!
Er riss sich ein Blatt Haushaltspapier ab und putzte sich die Nase, krümmte sich dann über der Spüle, als die Tränen erneut hochkommen wollten. So eine Scheiße! Er durfte nicht zulassen, daran zu denken. Er durfte überhaupt nicht denken!
Er schloss die Augen und suchte nach seiner Wut. Bekam sie zu packen. Blies sie auf. Ließ sie gären und anschwellen. Diese verfluchte Alte! Diese verdammte Hexe! Das half. Er stand einen Moment lang reglos da und zwang die Tränen zurück. Verbarg sie. Vergaß sie. Beugte sich dann vor und drehte den Wasserhahn auf, füllte seine gewölbten Hände mit kaltem Wasser und spritzte es sich ins Gesicht. Stand eine Weile reglos da und ließ es auf den Morgenmantel tropfen. Verscheuchte alle Gedanken. Registrierte, dass ein kleiner Teil von ihm vollkommen unberührt war und ein anderer nur Platz für Sehnsucht hatte. Aber er sehnte sich nicht nach Caroline, nicht nach Elsie, nicht nach Erfolg, nicht einmal nach Geld. Er sehnte sich nach nichts. Nach Ruhe an einem Ort, den es nirgends gab.
»Ich werde mich nicht betrauern«, sagte er laut.
Die Worte brachten ihn dazu, sich schnell umzublicken. Aber das war ja lächerlich, niemand hatte ihn gehört. Er war wieder allein. Vollkommen sicher und allein. Er griff noch einmal nach dem Haushaltspapier, riss ein Stück ab und wischte sich sorgfältig über das Gesicht. Öffnete die Tür unter der Spüle, warf das Papier weg und drehte sich dann um. Schaute sich in der Küche um.
So. Jetzt war er wieder er selbst.
Björn Hallgren. Der Popstar.
»Nicht möglich! Ist das wirklich Elsie
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