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Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)

Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition)

Titel: Eisblumen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners zweiter Fall) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Schroll
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Hauptkommissarin noch nicht einschätzen, ob die Informationen bei den Ermittlungen weiterhelfen würden; zu wenige Anknüpfungspunkte waren erkennbar. »Berichten Sie am besten alles, was Sie zusammengetragen haben, Laura. Vielleicht können wir irgendwann eine dieser Informationen gebrauchen.«
Lisa Lenz war es tatsächlich gelungen, einige Magnettafeln aufzutreiben und auf Staffeleien zu stellen. Im Vorbeigehen hatte ihre neue Chefin die junge Frau dafür gelobt und zugesagt, im Anschluss an die Besprechung die Tafeln gemeinsam mit ihr zu bestücken. Einstweilen befestigte sie eine starke Vergrößerung des Zettels mit den Buchstaben und Ziffern an einer der Tafeln. Als sich alle gesetzt hatten, erklärte Judith Brunner: »Wie heute Morgen angekündigt, werden wir mit den Notizen aus dem Wagen des Opfers beginnen. Frau Perch, wissenschaftliche Archivarin, hat sich freundlicherweise bereit erklärt, uns mit ein paar Hintergrundinformationen über die Notizen, die in Wolffs Auto gefunden wurden, zu versehen. Bitte hören Sie alle gut zu, denn möglicherweise helfen diese Angaben bei unseren Ermittlungen«, nickte sie freundlich auffordernd Laura zu.
Die stand auf und ging zu der Tafel mit der Vergrößerung. »Stellen Sie sich bitte auf das Thema der Tötung von kranken und behinderten Menschen während der Nazizeit ein. Denn dazu passen diese Notizen.« Laura wies auf den Zettel und machte eine kurze Pause.
Verunsichert und überrascht sahen die Polizisten sie an.
»1939, mit Kriegsbeginn, sind mehrere Programme gestartet worden, um diese Menschen zu töten. Ich werde sie kurz umreißen. Beginnen möchte ich mit der Tätigkeit eines Reichsausschusses, der Kleinstkinder mit Geisteskrankheiten oder schweren Missbildungen erfassen und auch umbringen ließ. Hoch qualifizierte Gutachter, Kinderärzte und Kinderpsychiater urteilten nach Aktenlage, woraufhin die Kinder in entsprechende Kliniken eingewiesen und dort in der Regel mit überdosierten Medikamenten ermordet wurden.
Eine andere Aktion wurde unter der Bezeichnung T4 bekannt. T4 steht für die Tiergartenstraße 4 in Berlin, dort befand sich seit April 1940 die Zentrale für die Organisation der Ermordung kranker Menschen in Anstalten. Hierbei wurden Erwachsene, die in solchen Einrichtungen wegen Krankheiten wie Schizophrenie, Epilepsie oder senilen Erkrankungen betreut wurden, per Meldebogen erfasst und nach einer Begutachtung in eigens zu ihrer Tötung eingerichtete Anstalten transportiert.«
Im Raum war es völlig still geworden; man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können. Kaum jemand machte sich Notizen.
Laura Perch fuhr fort: »14f13 steht für Vorgänge, bei denen Tausende Häftlinge in Konzentrationslagern von reisenden Ärztekommissionen selektiert wurden, um dann zumeist in Gaskammern oder auch mittels Medikamenten ermordet zu werden. Dazu zählten wieder Geisteskranke oder sogenannte Psychopathen, aber auch Bettler, Landstreicher, Prostituierte und Gewohnheitsverbrecher. Sie wurden als ›Ballastexistenzen‹ bezeichnet. Einem Erlass des Reichskriminalpolizeiamtes gemäß waren diese Personen in den Konzentrationslagern in sogenannte Schutzhaft genommen worden. Also: 14f bedeutet ›Todesfall im Konzentrationslager‹. 13 bedeutet ›Tod durch Vergasung‹.«
Sie ließ allen einen Moment Zeit.
»Nach Protesten der Kirchen und auch der Weltöffentlichkeit stoppte man im August 1941 offiziell diese massenhaften Tötungen. Doch im Geheimen fuhr man bis Mitte 1944, in einigen Einrichtungen sogar bis April 1945 mit den Tötungen fort: in den Anstalten besonders mittels der Überdosierungen oder auch durch gezielte Unterversorgung mit Nahrung und Wasser, in den Konzentrationslagern in der Regel durch Gas. Zudem befassten sich die beteiligten Mediziner mit wissenschaftlichen Experimenten an den Menschen. Einige töteten sogar vorsätzlich im Rahmen dieser Forschungen.«
Laura setzte sich wieder, legte ihre Notizen zur Seite und wartete. Es blieb einige Momente ruhig; niemand schien zu wissen, was er sagen sollte.
Judith Brunner deutete auf die Vergrößerung. »Damit wären die beiden ersten Zeilen der Notiz geklärt.«
»Richtig«, ergänze Laura Perch ihre Ausführungen, »die anderen Notizen beziehen sich auf Aktenzeichen, einmal eines des Reichsministeriums des Innern RMI, dann Abteilung IV. Das andere deutet auf die Kanzlei des Führers KdF, Hauptamt II. Es sind also Kombinationen aus einer Abkürzung und einer römischen Zahl.

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