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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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den Schinken in der kleinen Holzkiste liegen. Er sah, wie Ollies Blick für einen winzigen Moment zum Fleisch huschte. Michael stand auf und ging zur Kantine, um selbst zu frühstücken. Heute wollten sie tauchen, und er wusste, wie wichtig es war, genügend Energie zu tanken, ehe er, wie Hiwis und Beakers es nannten, die »Polartaufe« empfing.
    Als Michael sich setzte, hatte Darryl bereits einen halben Stapel in Ahornsirup getränkte Blaubeerpfannkuchen und einen Haufen vegetarischer Würstchen vertilgt. Lawson saß an der anderen Seite des Tisches. Entgegen allen Befürchtungen, die Hirsch vielleicht gehegt hatte, hatte sein Vegetarismus seinem Ansehen nicht geschadet, nicht einmal unter den Hiwis. Tatsächlich krähte hier kein Hahn danach. Wie Michael schnell gemerkt hatte, war eine Portion Exzentrik in Point Adélie so verbreitet und wurde so unbekümmert akzeptiert wie das Krächzen
der Pinguine. Menschen kamen zum Südpol, zum Pol, wie er sich in Gedanken korrigierte, um ihren eigenen Kram zu machen. In der realen Welt waren sie als Eigenbrötler, Spinner und Sonderlinge verschrien, aber hier unten kümmerte sich keiner darum. Jeder hatte seine eigenen Marotten, mit denen er klar kommen musste, und Vegetarier zu sein galt noch nicht einmal als eine.
    »Wenn man das erste Mal hierherkommt«, vertraute Lawson ihnen an und sprach damit für die technischen Angestellten, »kommt man wegen der Erfahrung.«
    Das glaubte Michael ihm aufs Wort.
    »Beim zweiten Mal«, fuhr er fort, »kommt man des Geldes wegen. Und beim dritten Mal«, schloss er grinsend, »kommt man, weil man nicht mehr anders kann.«
    Es gab etwas beklommenes Gelächter, außer von einem der Hiwis, Franklin, dem Ragtime-Klavierspieler, der sich zu ihnen umdrehte und sagte: »Seit fünf Jahren, Mann, seit fünf Jahren komme ich immer wieder hierher. Warum zur Hölle tue ich mir das bloß an?«
    »Unheilbar«, sagte Lawson, und alle lachten, einschließlich Franklin. Derartige Frotzeleien entsprachen dem Umgangston auf der Station.
    Michael schaufelte sein Frühstück in sich hinein, trank allerdings wesentlich weniger Kaffee als sonst. Lawson hatte sie gewarnt: »Wie wollt ihr denn noch pinkeln, wenn ihr erst einmal im Taucheranzug steckt?« Anschließend ging er zurück, um seine Kameraausrüstung zu holen. Er versiegelte seine Olympus D- 220 L im wasserfesten Unterwassergehäuse, vergewisserte sich, dass er frische Akkus und Blitzlichter dabei hatte, und sprach ein stummes Gebet zum Gott der technischen Pannen. Hundert Meter unter dem Packeis war nicht der richtige Ort für den kleinsten Defekt.
    Wie alles in der Antarktis war ein Tauchgang ein kompliziertes Unterfangen. Schon gestern hatte Murphy eine Arbeitscrew
mit einem riesigen Eisbohrer auf dem Raupenfahrzeug aufs Eis geschickt, um zwei Löcher ins Eis zu bohren. Durch das erste, über dem die unverzichtbare Tauchhütte stand, stiegen die Taucher ins Wasser und wieder heraus. Das zweite Loch in vielleicht fünfzig Metern Entfernung war das Sicherheitsloch, für den Fall, dass das erste durch irgendetwas, von Eisbrocken bis zu aggressiven Robben, vorübergehend unbenutzbar wurde. Unter Umständen konnten Weddellrobben ihren territorialen Anspruch auf ein sauber gebohrtes Atemloch äußerst nachdrücklich verteidigen.
    Mütterlich, wie er nun mal war, bestand Murphy darauf, dass jeder, der tauchte, sich vorher gründlich von Dr.Barnes durchchecken ließ. Michael musste sich auf die Kante ihrer Untersuchungsliege stützen, ließ sich den Hals und die Nase untersuchen, die Ohren ausspülen und den Blutdruck messen. Es war merkwürdig, von jemandem, den man einfach als Freund betrachtete, plötzlich in seiner professionellen Funktion behandelt zu werden. Er hoffte nur, sie würde ihn nicht auf Leistenbruch hin untersuchen, indem sie seine Hoden festhielt und ihm anschließend befahl, zu husten.
    Sie tat es nicht. Sie schien sich in dieser Rolle ihm gegenüber auch kein bisschen unbehaglich zu fühlen. Charlotte hatte das leidenschaftslose Gesicht eines Arztes aufgesetzt und ging nüchtern ihrer Arbeit nach. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, nach der Untersuchung und nachdem sie ihn für kerngesund erklärt hatte, zu fragen: »Bist du sicher, dass du das tun willst?«
    »Absolut.«
    Sie nahm das Stethoskop ab und verstaute es in einer Schublade. »Unter das Eis zu gehen, mit einer Gesichtsmaske und der ganzen Ausrüstung … du leidest nicht unter Klaustrophobie?«
    Irgendetwas in ihrer Stimme

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