Eisiges Feuer (German Edition)
sich nicht um Albor, sondern irgendeinen anderen Gefangenen gehandelt hätte, Lys wäre dieser Anlass, sich langsam fortbewegen zu müssen, mehr als Recht gewesen. Er würde eine andere Lösung finden, um mit Elyne umzugehen, eine, die sie nicht beide zugrunde richtete. Sie überschüttete ihn nicht mehr ständig mit Beschimpfungen und Hohn, aber ihr Schweigen, im Wechsel mit Jammerei, war eher noch schwerer zu ertragen.
Tausend Fragen zogen Lys durch den Sinn. Wo war Kirian? Was war geschehen? Was machte Albor so weit entfernt vom Lager der Bande? Wo waren die anderen? Lebte Kirian noch? Und wenn er noch lebte, warum hatte er Albor nicht versucht zu befreien?
„Herr?“, sprach Tomar ihn an, sein Hauptmann, ein unauffälliger, dunkelhaariger Mann im vierten Lebensjahrzehnt. „Herr, der Gefangene hat das Bewusstsein verloren.“
Lys drehte sich im Sattel, warf einen kurzen Blick über die Schulter, beherrschte seine Miene dabei. Nichts verriet, wie besorgt er war, als er beobachtete, wie man Albor von dem Pony herabzerrte. Gleichmütig nickte er Tomar zu. „Lasst ein Lager errichten, dieser Ort ist nicht schlechter als jeder andere, und in einer Stunde würde es sowieso dämmern. Der Gefangene erhält natürlich ein eigenes Zelt.“
„Herr?“
Ungeduldig starrte Lys diesen Mann an, der viermal wegen Trunkenheit im Dienst und Schlägereien bestraft worden war. Warum man ihn überhaupt noch bei der Burgwache belassen hatte, war ihm ein Rätsel. Gut, Tomar besaß von all den Trunkenbolden, Spielern und Schlägern, die Lys’ Eskorte bildeten, noch den meisten Verstand, aber eine wirkliche Auszeichnung war das nicht.
Wahrlich, verehrter Schwiegervater, ein ungeschickter Zug von Euch! Mich mit solch unfähigem Pack zu ärgern mag Euch erheitern und der Tradition entsprechen, aber bedenkt, es ist der Name Lichterfels, der darunter leidet!
Der Fürst von Lichterfels ließ mittlerweile keine Gelegenheit mehr aus, Lys’ Position zu schwächen, ohne sich dabei so offen gegen seinen Schwiegersohn zu stellen, dass das Bündnis mit Corlin gefährdet war. Es entsprach dem Gesetz, jungen Adligen, die einen eigenen Hausstand gründeten, erst einmal nur weniger taugliche Soldaten an die Hand zu geben. So wurde verhindert, dass übereifrige, noch unerfahrene Spieler Fehden gegen ihre Nachbarn und Feinde anzettelten und das Gleichgewicht im Land störten. Doch diese Truppe war mit Abstand das Schlechteste, was Lichterfels zu bieten gehabt hatte. Mehr als einmal hatte es während der Reise kleine Zwischenfälle gegeben. Mittlerweile fürchten ihn die Soldaten, die anfangs geglaubt hatten, es mit einem verweichlichten Schönling zu tun zu haben, darum gehorchten sie nun jedem Befehl. Lys wendete keine Prügelstrafe an, brauchte es auch nicht – mit Worten demütigte er jene, die faul oder ungeschickt waren, auch wenn er sich dafür selbst verachtete; mit eiserner Härte begegnete er Aufsässigkeit, mit Selbstdisziplin und körperlichem Geschick erlangte er Respekt. Der Preis war hoch, Lys durfte sich keinen Moment der Schwäche erlauben, kein Lächeln, kein lobendes Wort, keine Vertraulichkeit. Er war der Herr, ob er wollte oder nicht.
Tomar erbleichte unter dem anhaltenden, schweigenden Starren und verneigte sich rasch.
„Vergebt mir meine Dummheit. Natürlich, der Gefangene erhält ein eigenes Zelt.“
Lys sah, dass Tomar der Befehl nicht gefiel, und seufzte innerlich.
„Hauptmann, welche Jahreszeit haben wir?“, fragte er mit schneidender Stimme.
„Spätwinter, Euer Edelgeboren.“ Tomar straffte sich unwillkürlich.
„Kann ein Mann also unter freiem Himmel schlafen, ohne zu erfrieren?“
„Möglicherweise, Euer Edelgeboren, nah am Feuer und mit Decken versehen.“ Tomar zögerte. „Herr, es ist ja nur, weil wir kein Zelt überzählig haben.“
„Löst dieses Problem, Hauptmann. Ihr werdet dafür bezahlt, dass ich mich nicht selbst damit abmühen muss. Wenn Ihr den Gefangenen mit Euch in Eurem eigenen Zelt unterbringen möchtet, halte ich Euch nicht auf; ganz, wie Ihr es für richtig befindet.“
Mit diesen Worten stieg Lys von seinem Pferd und führte es an einen nahe gelegenen Fluss. Seine Leute hatten sich mittlerweile daran gewöhnt, dass er niemandem erlaubte, sich um das Tier zu kümmern. Diesmal lenkte es ihn von der Sorge um den Verwundeten ab. Albor hatte seine Entführung geleitet, ja er hatte ihn niedergeschlagen und mit dem Dolch gequält. Aber er war nie grausam geworden, hatte Roban nicht
Weitere Kostenlose Bücher