Eiskalt wie die Nacht: Thriller (Dicte Svendsen ermittelt) (German Edition)
empfing, den er lange nicht gesehen hatte.
Er stellte sich ans Fenster, schob die Gardine beiseite und sah über den Hof zur Werkstatttür. Der Lärm war zwar gedämpfter, aber es war unverkennbar, dass Manfred beschäftigt war.
Nicht lange verharrte er so, aber in diesen Sekunden strichen Erinnerungen an ihre Freundschaft vorbei: An ihre ersten Gespräche über Bücher, die sie beide gelesen hatten. An die Jagdtouren. An ihre Leidenschaft für ihre Arbeit, die sie miteinander teilten. An die Schachabende mit einem Glas Whiskey. An die Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, ohne viel Aufhebens und ohne viele Worte.
Peter trat vom Fenster weg. Er wollte diese Gedanken an ihre Freundschaft bewahren. Auch wenn alles schiefgehen würde und er nicht mehr in der Lage sein sollte, die Scherben seines Lebens zusammenzusetzen, dann würde ihm wenigstens diese Erinnerung bleiben. Und obwohl ihm das so viel wert war, setzte er es jetzt aufs Spiel.
Der Waffenschrank befand sich im Wohnzimmer. Er wusste, wo der Schlüssel hing, Manfred hatte es ihm gezeigt.
Er schüttelte ihn aus der königlichen Vase im Regal und öffnete den Schrank. Zwei Schrotflinten und zwei Gewehre. Er nahm das finnische Sako-Gewehr, das Manfred auch am Neujahrsmorgen mit dabeihatte. Eine schwere, solide Waffe und eine der besten und präzisesten der Welt.
Er nahm sechs Klickpatronen des Kalibers 30.06 aus der Box. Die Patronen ließ er in seine Hose gleiten, legte das Gewehr an und sah durch das Zielfernrohr. Einen kurzen Moment lang stand er wieder im Wald und betrachtete den Hirsch. Er hielt die Luft an, sein Finger am Abzug zitterte.
»Das liegt gut in der Hand, nicht wahr?«
Peter wirbelte herum, das Gewehr im Anschlag. Manfred stand in der Tür, ganz ruhig.
»Das schießt dir auf 100 Metern Entfernung ein Loch in den Schädel.«
»Ich weiß«, sagte Peter. »Und ich hoffe, dass ich es nicht einsetzen muss.«
»Du hättest mich fragen können. Du hättest mich ganz einfach darum bitten können.«
Sie sahen sich an. Die Sekunden fühlten sich wie Stunden an.
»Das ist einfacher so«, sagte Peter und senkte die Waffe.
»Wir sind doch Freunde«, sagte Manfred. »Du hättest mir vertrauen können.«
»Vielleicht habe ich dich deshalb nicht gefragt.«
Manfred kam auf Peter zu, der instinktiv die Waffe hob. Manfred blieb stehen.
»Das würdest du nicht tun.«
Peter schüttelte den Kopf.
»Ich würde es an deiner Stelle nicht drauf ankommen lassen.« Und obwohl er sich geschworen hatte, nichts zu erklären, tat er es dennoch. »Es ist das Beste, du sagst, wie es war: ich bin in dein Haus eingedrungen, habe dein Gewehr und die Munition gestohlen und dich mit der Waffe bedroht. Wenn dich jemand fragt.«
»Und warum sollten sie das tun?«
Er hatte weder die Zeit noch die Muse, weiter ins Detail zu gehen. Und er wollte Manfred auch nicht in den Sumpf seiner alten Welt hineinziehen. Aber er konnte seine Augen nicht verschließen: seine alte und neue Welt waren gerade in einem Frontalzusammenstoß aufeinandergeprallt.
»Weil sie mit mir reden wollen. Aber ich habe keine Zeit. Ich habe etwas Dringendes zu erledigen.«
»Vielleicht kann ich dir dabei helfen«, sagte Manfred.
Peter ging rückwärts auf die Tür zu.
»Du bekommst es zurück«, sagte er und ging.
Zu Hause angekommen, zog er sich seine Lammfelljacke an, die er sich im vergangenen Winter gekauft hatte. Der Hund fing erwartungsvoll an zu winseln. Er lief eine kurze Tour mit ihm. Der Schnee fiel in dicken Flocken. Er formte einen Schneeball und warf ihn, damit Kaj hinterherhechten konnte.
»Braver Hund.«
Er tätschelte ihm den Kopf und dachte an die Nacht zu Neujahr. Das war noch gar nicht so lange her. Diese eine Nacht hatte ihn und sein kleines Leben im selbst gewählten Niemandsland gepackt und auf den Kopf gestellt. Seitdem war nichts mehr so wie vorher.
Er brachte den Hund zurück ins Haus und ignorierte sein flehendes Bellen, mitkommen zu dürfen. Er war gerade auf die Landstraße abgebogen, als Matti anrief.
»Du hattest recht«, sagte er nur. »Grimme hat heute Freigang.«
Während Peter sich auf den Weg machte, ging er in Gedanken alles noch mal durch. Mehrere Gründe sprachen dagegen, dass tatsächlich Cato die SMS geschickt hatte: zum einen war da Catos Nervosität und die abrupte Art und Weise, wie er das letzte Telefonat beendet hatte. Die fremden Geräusche und seine Unruhe hatte Peter durch den Hörer gespürt. Er hatte Cato nie auch nur einen Millimeter weit
Weitere Kostenlose Bücher