Eiskalte Angst
verzerrt.
»Euer Meister ist verrückt«, stieß April hervor. »Er hat kein Interesse mehr daran, Marco und mich zu vernichten. Er weiß, dass eine Lawine über uns niedergeht und er weiß auch, dass wir darunter verschüttet werden. Ihr werdet diese Höhle nie mehr verlassen, werdet hier sterben. Das will er. Er will, dass Ihr Euch opfert. So sollt Ihr ihm Eure Liebe beweisen. Wie vor ein paar Jahren die Sonnentempler hier in der Schweiz. Erinnert euch, verdammt! Mehr als sechzig Menschen starben. Oder die Sache in Jonestown. Fast tausend Männer, Frauen und Kinder. Seid vernünftig und flüchtet.«
Warum, um alles in der Welt , erinnerte sie sich jetzt daran?
Sie zerrte den amerikanischen Schauspieler zu sich herum und starrte ihm in das schöne männliche Gesicht, mit dem er in manchen Actionfilmen brilliert hatte. »Du bist ein Vorbild, Mann«, sagte sie.
Von draußen donnerte es, als stürze ein Himmel aus Wellblech zusammen. Immer mehr Eisbrocken brachen aus den Wänden. Die Höhle würde innerhalb der nächsten Minuten zusammenbrechen. Millionen Zentner gefrorenen Wassers stürzten aus Hunderten Meter Höhe auf sie hinab und die Schwingungen hatten ihr Übriges getan, um jegliche natürliche Statik zu vernichten. Sie mussten hier raus oder sie würden sterben.
»Wir bleiben bei unserem Meister. Durch ihn sind wir, was uns ausmacht«, sagte der amerikanische Schauspieler.
»Sie können noch so viele Filme drehen, mit denen Sie die Welt erfreuen, Thomas - warum in Gottes Namen wollen Sie unbedingt sterben?«
Der Schauspieler drehte sich um und schuf sich mit ausgebreiteten Armen Platz. »Werden wir sterben, Meister?« fragte er.
Dragus lachte humorlos. »IHR SEID DIE ELITE! IHR SEID UNSTERBLICH!«
Blanker Horror griff nach April, und für einen Moment war sie dermaßen erschüttert, dass sie sogar für Dragus nichts als Mitleid empfand. Sie fragte sich, warum sie hier stand und mit diesen Menschen diskutierte, während sich um sie herum die Welt in eisige Bestandteile auflöste. Warum begab sie sich in Gefahr und lieferte sich Dragus aus? Wenn er wollte, würde er sie töten. Warum tat er es nicht? Warum ließ er sich auf dieses Spiel ein?
Marco war neben April getreten. »Lass uns verschwinden ...«
Ein höllischer Lärm brach los. Am anderen Ende der Höhle lösten sich riesige Deckenstücke, donnerten herab und zersprangen mit einem peitschenden Knall. Eissplitter explodierten nach allen Seiten.
Die Jünger schienen vor Grauen wie gelähmt. Sie starrten sich an, einige streiften ihre Kapuzen zurück und April erkannte traurig, dass es sich um junge Menschen handelte, nicht älter als sie es war, so viele verblendete junge Menschen ...
»Ja, Meister ... wir sind unsterblich«, sagte der Schauspieler und die Anderen begleiteten seine Worte mit einem Singsang, der April zu einer Salzsäule erstarren ließ.
Dragus lachte leise, voller boshafter Vorfreude und wich Schritt für Schritt rückwärts, den Kristall an sich gedrückt wie einen abgeschlagenen Kopf, während die Jünger auf die Knie sanken, ohne ihren Singsang dabei zu unterbrechen.
Ein Eisbrocken fiel von der Decke und traf Aprils Schulter mit ungebremster Wucht. Der Schmerz brachte sie vollends in die Wirklichkeit zurück und sie wurde von Marco am Arm gezogen.
»Raus hier«, sagte Marco in beschwörendem Ton. »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«
April sprang zurück, taumelte und rutschte auf dem glatten Boden weg, stemmte sich wieder hoch und stolperte hinter Marco her, wobei ihr Kleid in Fetzen riss. In dieser Sekunde explodierte über ihr die Höhlendecke und eine Sturzflut Eis und Wasser ergoss sich über die knienden Menschen, von denen einige noch im selben Moment erschlagen wurden.
Die Überlebenden kreischten, tobten, weinten und rollten sich Schutz suchend zusammen.
»Wir müssen den Ausgang erreichen!«, brüllte Marco und zog April hinter sich her. »Es sieht so aus, als wenn sich eine riesige Luftblase über der Höhle befindet, die mit Wasser gefüllt ist. Vermutlich hat die Wärme im Inneren der Höhle dazu geführt, dass ...!«
Das Dröhnen hatte an Intensität zugenommen, verschluckte jedes Geräusch und wurde so laut, dass April fürchtete, ihr Trommelfell könne platzen.
Die Höhle verwandelte sich in ein brodelndes Inferno. Wasser und Eis vermischte sich, platzte aus der Decke, aus den Wänden und schoss mit ursprünglicher Kraft über den Boden. Es verschluckte den blauen Teppich und den Tisch und raste wie ein
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