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Eiskalter Wahnsinn

Eiskalter Wahnsinn

Titel: Eiskalter Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Kava
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versuchte.
    Als Kind hatte Wally häufig Nasenbluten gehabt. Wahrscheinlich litt er immer noch darunter. Ständig beklagte er sich über den einen oder anderen Schmerz. Er war kein gesunder Mann. Ja, bestimmt hatte er immer noch Nasenbluten.
    „Lillian?“
    Als sie seine Stimme an der Tür vernahm, schrak sie zusammen, ließ das T-Shirt fallen und drehte sich um. Wally sah sie finster an.
    „Was zum Teufel machst du da?“
    „Ich habe dich gesucht“, log sie und merkte sofort, was für eine grauenhafte Lügnerin sie war. Bei ihrer blühenden Fantasie müsste es ihr eigentlich leicht fallen, eine plausible Geschichte zu erfinden.
    „Du kommst doch sonst nicht hierher.“
    „Vermutlich hatte ich nostalgische Anwandlungen. Vielleicht auch ein bisschen Sehnsucht nach dem alten Haus.“ Die Lügen wurden immer mieser. Sie würde sie auch nicht glauben. „Darf ich ehrlich zu dir sein, Wally?“
    „Das wäre eine gute Idee.“
    „Ich suchte … ich wollte schauen, ob … ob es die alte blaue Vase noch gibt, die Mom hatte.“
    „Was?“
    „Ja, die blaue Keramikvase. Erinnerst du dich?“ Diese Ausrede war nun richtig gut. Sie sah, dass er sich zu erinnern versuchte. „Das war die, die sie von Tante Hannah geschenkt bekommen hatte.“
    „Ich weiß nicht, warum du die jetzt haben willst.“ Doch sein Tonfall ließ auf keinerlei Argwohn mehr schließen. „Ich glaube, die ist oben in der Dachkammer. Ich sehe mal nach, ob ich sie finde.“
    Er war ein guter Junge, ein guter Bruder trotz allem, was sie von ihrer Mutter erdulden mussten. Er konnte unmöglich eine der Taten begangen haben, die sie sich in ihrer zu lebhaften Fantasie ausgemalt hatte. Als sie ihn die Treppe hinaufsteigen hörte, nahm sie dennoch das blutige T-Shirt aus der Ecke und stopfte es in ihre große Handtasche.

35. KAPITEL
    Washington, D. C.
    R. J. Tully ging vor dem Backsteinhaus auf und ab und klimperte mit dem Wechselgeld in seiner Hosentasche. Er zwang sich, stehen zu bleiben, lehnte sich gegen das Geländer und blickte zu den dunklen Wolken hinauf. Jede Minute konnten sich die Himmelsschleusen öffnen. Warum besaß er keinen Schirm?
    In seinen jungen Jahren hatte das was mit Männlichkeit zu tun gehabt. Männer benutzten keinen Schirm. Während der Wind nun eisiger wurde und Tully den Kragen hochschlug, schwante ihm jedoch, dass er lieber trocken als männlich war. Emma hatte ihm mal auseinander gesetzt, es bestehe ein feiner Unterschied zwischen Männlichkeit und Blödheit. Wann war seine Tochter so weise geworden?
    Tully blickte auf seine Armbanduhr und schaute suchend die Straße entlang. Sie kam zu spät. Sie kam immer zu spät. Vielleicht war es ihr unangenehm, mit ihm allein zu sein. Schließlich hatten sie sich seit Boston große Mühe gegeben, einander aus dem Weg zu gehen.
    Boston … das schien Ewigkeiten her. Und dann sah er sie einen halben Block entfernt die Straße heraufkommen. Schwarzer Trenchcoat, schwarze Pumps, schwärzer Schirm, seidiges rotblondes Haar. Und plötzlich lag Boston gar nicht mehr so weit zurück.
    Er winkte, als sie schließlich in seine Richtung blickte. Mit einer dieser idiotischen Gesten, die offene Hand gegen den Uhrzeigersinn gedreht, als würde er den Verkehr regeln. So etwas tat vermutlich nur ein völliger Blödmann. Was war los mit ihm? Warum wurde er in ihrer Gegenwart derart nervös? Sie winkte jedoch zurück und lächelte sogar. Und dann versuchte er sich zu erinnern, warum sie beschlossen hatten, Boston zu vergessen.
    „Tut mir Leid, ich komme zu spät“, sagte Dr. Gwen Patterson. „Warten Sie schon lange?“
    „Nein, überhaupt nicht.“ Die zwanzig Minuten auf und ab wandern zählten plötzlich nicht mehr.
    Der Gebäudeverwalter hatte ihm den Sicherheitscode und den Schlüssel zu Apartment 502 gegeben, jedoch vergessen zu erwähnen, dass sie mit einem Frachtfahrstuhl in das Loft gelangten. Tully hasste diese Dinger, Metalltore anstatt Türen und keine Verkleidung an den Kabeln oder Isolierungen, um das Quietschen der alten Hydraulik zu dämpfen. Dr. Patterson schien das völlig kalt zu lassen.
    „Waren Sie schon mal in ihrem Apartment?“ fragte er, um etwas zu plaudern und sich vom Kreischen der Zugseile abzulenken, die mal geölt werden müssten.
    „Sie hatte vor sechs Monaten eine Ausstellung. Da war ich hier. Aber das war das einzige Mal.“
    „Eine Ausstellung?“
    „Ja, ihr Loft ist auch ihr Atelier.“
    „Atelier?“
    „Sie ist Künstlerin.“
    „Ja, natürlich, das ergibt

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