Eismond: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
»Allerdings habe ich mir dabei vor einigen Jahren den Arm gebrochen, und seitdem bin ich nicht mehr gesprungen … aber irgendwann wieder. Vielleicht wir beide zusammen.«
»Vielleicht«, sagte Vesa.
Auf einem Foto war Jaana mit Daniel. Sie standen vor einem kleinen, schmutzig wirkenden Hotel in der Sonne und lächelten sich an.
»Daniel«, sagte Vesa.
Jaana stöhnte. »Wahrscheinlich hast du mit den Fotos nur einen Vorwand gesucht, wieder von ihm anzufangen.«
»Wo ist das?«, fragte er.
»In Italien.«
»Da hast du ihn kennengelernt?«
»Hör zu, ich habe jetzt keine Lust mehr, über ihn zu reden. Ich mag ihn nicht, weil er versprochen hat, nach Finnland zu kommen, und das nicht getan hat. Und falls es dich beruhigt: Irgendwann wird er vermutlich nach Finnland kommen. Meinetwegen.«
»Was meinst du?«
»Das, was ich gesagt habe. Ich kriege nämlich immer, was ich will«, sagte sie und kniete sich neben ihn auf den Boden. Sie zog ihn zu sich hinab und küsste seinen Mund. Er spürte ihre Haare in seinem Gesicht und ihre Zunge an seinen Zähnen. Die Schmerzen im Unterleib wurden stärker. Gerade als er glaubte, sie seien unerträglich, sprang sie auf und fragte, ob er etwas trinken wolle.
Er setzte sich hastig auf und schüttelte den Kopf.
Sie lachte und zündete Kerzen an. Sie goss Weißwein in zwei Gläser. »Du bist schon komisch«, sagte sie, als sie nebeneinander auf dem Boden saßen und tranken.
Er schwieg.
»Ich möchte viel mehr über dich wissen«, sagte sie. »Am liebsten alles.«
Er schloss die Augen.
»Kannst du dich an den Tag erinnern, als deine Eltern gestorben sind?«, fragte sie.
Er schwieg.
»Was ist damals passiert? Was war das für ein Unfall?«
Er hielt die Augen noch geschlossen, aber er spürte, dass Jaana ihn ansah. Sie fixierte ihn, sie versuchte, in seine Gedanken zu tauchen, und sie kam näher.
Sie nahm das Glas aus seiner Hand und leckte seine Wange. Sie strich mit den Händen an seinem Hals, seinen Armen entlang und zog behutsam seine Hose aus. Dann spürte er eine Weile nichts. Als er die Augen öffnete, stand sie nackt vor ihm. Sie nahm seine Hand und führte ihn zum Bett.
Sie legte sich und zog ihn hinab.
Er spürte, wie der Schmerz langsam durch seinen Körper wanderte.
Er hörte ihre Stimme. Sie stöhnte und rief etwas, aber er verstand nicht, was.
Kurz bevor der Schmerz sich löste, sah er das Ende.
Er hörte sich schreien.
Sie lachte ihm mitten in die Augen.
Er drehte sich auf die Seite.
Sie kraulte seinen Rücken und beugte sich über ihn.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie.
Er nickte.
Nach einigen Minuten erschlaffte ihre Hand auf seinem Rücken. Er wandte sich in ihre Richtung und sah, dass sie eingeschlafen war.
Er spürte, wie sich die Angst über seine Gedanken legte und die Ruhe.
Solange sie schlief, war alles in Ordnung.
Solange sie schlief, würde sie keine Fragen stellen.
Er lag lange reglos.
Dann begriff er, dass es schön gewesen war, das Schönste, was er erlebt hatte. Er begriff, dass sich am Ende alles in nichts aufgelöst hatte.
Er stand langsam auf. Ihr Arm, der schlaff auf seinem Rücken lag, fiel auf die Bettdecke. Er zog sich an, ohne sie anzusehen.
Er spürte die Leere, in der nichts mehr war, nur noch die Wahrheit.
Er löschte das Licht.
Er stand über ihr am Bett und sah sie atmen.
Er zog das Kissen unter ihrem Kopf hervor und presste es auf ihr Gesicht, so lange, bis es vorbei war.
Er hörte sie schreien, aber er wusste, dass der Schrei aus einer Welt kam, die nicht seine war.
Er löschte die Kerzen, hob die beiden Fotos und die Kamera vom Boden auf, nahm einen Schlüssel aus ihrer Jackentasche und rannte auf das Nichts zu.
Er spürte, dass er dieses Mal bleiben würde, bleiben musste, dieses Mal war es anders.
Er ließ sich fallen.
Während er stürzte, schrie er seine Euphorie heraus, denn er hatte die schwierige Aufgabe bewältigt, und es war ihm so leichtgefallen, dass er kaum noch wusste, warum er jemals gefürchtet hatte zu versagen.
Er hatte nicht versagt.
Jaanas Lachen war erloschen.
Jaanas Lachen, in dem er seinen Tod gesehen hatte.
21
Als Kimmo Joentaa hörte, was Heinonen sagte, spürte er sofort, dass etwas nicht stimmte, dass seine Reaktion nicht die war, die sie hätte sein sollen.
Er kam nicht dazu, darüber nachzudenken, weil Ketola ihn ablenkte.
Ketola hatte zunächst mit offenem Mund Heinonen angestarrt, der in der Tür stand und berichtete, in knappen, gehetzten Sätzen. Nach seinen
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