Eisrosensommer - Die Arena-Thriller
desolaten Zustand zu ignorieren. Schließlich war das hier kein Krankenbesuch, auch wenn Rebeccas Mutter offensichtlich davon ausging.
»Hier«, sagte sie kühl, nahm die Spange aus ihrem Rucksack und legte sie auf den Tisch. »Das gehört doch dir, oder?«
Der Effekt war verblüffend: Rebecca gab einen unterdrückten Jubelschrei von sich, nahm die Haarspange in beide Hände und drückte einen Kuss auf die etwas größere, mittlere Perle.
»Wie toll! Mein Glücksbringer! Wie super-super-toll! Ich dachte schon, ich hätt’ den für immer verloren! Oh, danke, Pia!«
Als Rebecca sie umarmte, nahm Pia einen unangenehmen Geruch wahr.
Schweiß. Nicht der süßlich-muffige Geruch, der entsteht, wenn man ein, zwei Tage lang krank und ungeduscht im Bett liegen bleibt. So riecht man bei extremem Stress. Oder bei Angst.
»Wo hast du die Spange denn gefunden?«, fragte Rebecca.
Pia war auf die Frage gefasst. »Auf dem Petershof«, antwortete sie knapp und verfolgte gespannt Rebeccas Reaktion:
Sie runzelte die Stirn und schüttelte dann langsam den Kopf. »Aber ich kann mich gar nicht erinnern, sie angehabt zu haben, als ich da draußen war. Und wieso…?« Sie geriet ins Stottern: »Woher weißt du überhaupt…?«
Pia reagierte nicht und beobachtete weiter, wie ihr Gegenüber sich unter ihren Blicken wand.
»Aaach, jetzt versteh ich«, sagte Rebecca nach einer Weile. »Du hast rausgekriegt, dass ich neulich absichtlich zum Petershof raus bin, um Jonas kennenzulernen.« Sie hob in einer hilflosen Geste ihre Hände und senkte schuldbewusst den Kopf. »Stimmt, das war so. Aber ich wusste doch nicht, dass du in Jonas ver. . .«
»Das interessiert mich auch nicht die Bohne!«, fuhr Pia sie an, »was mich interessiert, ist, wie das Ding da in den Pool geraten ist, in dem rein zufällig an diesem Nachmittag Lennarts Hund ertrunken ist!«
An das, was daraufhin geschah, sollte Pia sich wochenlang wieder und wieder erinnern. Es war geradezu gespenstisch: Rebeccas ohnehin blasses Gesicht verlor jede Farbe.
»Oh nein!«, stammelte sie, »sag, dass das nicht wahr ist!«
Dann griff sie sich an den Hals, atmete ein paarmal stoßweise ein und aus, schwankte, griff nach der Tischkante, um sich abzustützen, glitt davon ab und brach zusammen.
Eine gute halbe Stunde später, nachdem Pia sie mithilfe ihrer Mutter nach oben in ihr Zimmer gebracht hatte, kehrte langsam wieder etwas Farbe in Rebeccas Gesicht zurück.
»Er versucht, mich da mit reinzuziehen«, schluchzte sie. »Oh Gott, wie kann man sich nur so in einem Menschen täuschen?«
Anhand Rebeccas Andeutungen und der Fragmente, die ihre Mutter beisteuerte, setzte sich für Pia langsam ein Bild der Ereignisse zusammen, die zu Rebeccas desolatem Zustand geführt hatten:
Jonas und Rebecca hatten die Nacht miteinander verbracht. Am frühen Morgen hatte die Polizei geklingelt und Jonas abgeholt. »Zeugenbefragung im Fall Lennart Peters.«
Er war danach nicht wieder aufgetaucht: weder zu Hause noch bei den Matusseks.
»Sie glauben, es war ein Mordversuch…«, Therese Matussek schlug, genau wie ihre Tochter es mitunter tat, in Kleinkindmanier die Hände vors Gesicht, »…und sie glauben, Jonas hätte was damit zu tun! Becky war so geschockt, dass ich sie heute nicht in die Schule gelassen habe.«
»Aber… das Ganze kann doch nur ein Missverständnis sein! Wieso sollte Jonas…? Ich meine: Er ist doch gar nicht fähig, jemandem so was anzutun!«
»Ja, das glaubt man immer… Bis es zu spät ist«, sagte Rebecca leise. »Pia, ich wusste von der Sache mit dem Hund. Aber Jonas hat mir gesagt, es wär einfach irgendwie… über ihn gekommen! Weil dieser Lennart ihn ständig nur gedisst hat! Und er hat ihm mit voller Absicht die schlimmsten Dreckarbeiten aufgehalst! Er hat das mit dem Hund eigentlich gar nicht gewollt. Und jetzt…«, sie schluchzte auf und verbarg – genau wie ihre Mutter – das Gesicht in den Händen, »…jetzt, wo er noch Schlimmeres gemacht hat, versucht er, mir die Sache mit dem Hund anzuhängen! Ich weiß genau, dass ich die Spange letzte Woche noch hatte! Er muss sie mir weggenommen und am Sonntag bei den Peters in den Pool geworfen haben.«
Therese Matussek nahm ihre Tochter in den Arm und wiegte sie wie ein kleines Kind.
»Denk nicht weiter drüber nach, Beckylein«, wisperte sie beschwörend. »Vergiss das alles ganz schnell wieder. Jonas ist auch nur ein Opfer…«
»Ein Opfer von was?! Oder wem!?«, platzte Pia empört heraus, doch Therese
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