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Eisweihnacht

Eisweihnacht

Titel: Eisweihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Berger
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dem Weg, zeigt ja, dass ein guter Kern noch irgendwo vorhanden ist.»
    «Ach, nun mach nicht so ein Geheimnis!», schalt die Tante. «Was willst du sagen, die Kleine wäre vom liegenden Gewerbe, oder wie? Hier sind lauter erwachsene Leut, du kannst es ruhig aussprechen.»
    Elise war das jetzt unangenehm. Tantchen wie auch Schwester Bärbel hingegen hatten in diesen Dingen keinerlei Scheu.
    «Nein, nein, das nun auch wieder nicht», winkte der Vater fast entsetzt ab. «Sei doch nicht immer so vulgär bei Tisch, Lotte. Nein, was die gute Marie betrifft, ich sagte doch schon, abgefeimt ist sie nicht, nur dumm. Sie hat mir heut früh die ganze Geschichte gebeichtet. Im Sommer ist sie von ihren Eltern in Umstadt ausgebüxt. Von einem Tag auf den anderen ausgebüxt.»
    Wie Helena, des Vaters zweite Frau, dachte Elise. Die war auch von einem Tag auf den anderen fort.
    «Und wo ist sie hin?», fragte die Tante.
    «Zu einem Mann in Mainz-Kastell, in den sie verschossen war. Ein Leutnant. Der hatte im Jahr davor um ihre Hand angehalten. Die Eltern waren aber strikt dagegen gewesen. Die Eltern sind Handwerkersleut, und der Leutnant schien ihnen nicht solide genug. So ein Weiberheld eben, den jeder sofort durchschaut, nur nicht die Frauen, die er umwirbt.»
    «Und dann?», fragte Elise, die geradezu erleichtert war. Warum hatte sie Marie noch nicht selbst ausgefragt? Genau so eine Geschichte hatte man doch vermuten müssen.
    «Na, wie das so geht», sagte der Kaufmann Best mit befriedigtem Unterton. Er lehnte sich zurück und faltete die Hände auf dem rundlichen Bauch unter seiner Weste, wie zum besonderen Genuss. «Auch die flammendste Liebe besteht eine solche Probe keine zwei Monate. Der gute Leutnant war bei täglichem Umgang dann doch nicht mehr so charmant. Hat auch getrunken, und nicht zu knapp. Aber unsere Pechmarie hatte ihn natürlich sofort nach ihrer Ankunft in Mainz-Kastell überstürzt geheiratet. Und nun konnte sie nicht einfach wieder zurück. Zumal die Eltern sie brieflich wissen ließen, sie wäre nach diesem Vertrauensbruch enterbt und man wolle sie niemals mehr wiedersehen.» Der Kaufmann Best legte an dieser Stelle den Kopf mit der langen Nase und dem langen Kinn in den Nacken und lachte schallend. «Nicht einmal das Luder Helena wäre so dumm gewesen», sagte er, als er sich beruhigt hatte. «So dumm, zu glauben, dass ich sie anstandslos wieder nehme, wenn sie reuig zurückgelaufen kommt. Aber unsere naive Marie, die hofft jetzt, dass die Eltern in Umstadt die Arme aufhalten, wenn sie kurz vor Weihnachten plötzlich vor der Tür steht. Will die Suppe nun doch nicht auslöffeln, die sie sich eingebrockt hat.»
    Elise und die Tante warfen sich einen verstohlenen Blick zu. Es war klar, dass es dem Vater mindestens zur Hälfte um Helena ging. In Wahrheit hatte der Kaufmann Best sich immer gewünscht, es möge seine junge, schöne Frau reuen, aus einer Laune und kindischer Liebe (wie er zu sagen pflegte) zu einem anderen Mann in die Fremde geflohen zu sein. Und dann noch als verheiratete Frau. Lange hatte der Vater damit gerechnet, Helena würde reuig heimkehren. Und vor jedem Weihnachtsfest, wenn die Erinnerungen kamen, hoffte etwas in ihm vielleicht noch immer, dass sie durch eine Art weihnachtlicher Magie an Heiligabend vor der Tür stände. Elise hatte wenig Zweifel, dass er sie nach vielem Schimpfen und Wüten wieder aufnehmen würde.
    «Hat der Leutnant Marie geschlagen?», fragte Elise besorgt, das Thema Helena ignorierend. Der Einzige, der Helenas Namen ungestraft in den Mund nehmen durfte, war selbstverständlich der Vater selbst.
    «Das wohl zuletzt auch», sagte der Vater, nahm einen Kanten Brot aus dem Korb und wischte damit auf seinem Teller herum.
    Die arme Marie, dachte Elise. Kein Wunder, dass sie sich davongemacht hatte. Aber was für ein Gefühl, loszureisen, ohne zu wissen, ob die Eltern einen einlassen würden, bei dieser Kälte und mit einem Mantel, den sie wahrscheinlich ihrem Mann gestohlen hatte. Man stelle sich vor, die Eltern schickten sie zu ihrem Leutnant zurück. Da würde es ihr übel ergehen. Nicht auszudenken.
    Plötzlich wallte in Elise eine große Zärtlichkeit zu ihrem Vater auf, weil sie spürte, dass Marie ihm leidtat. Trotz all seines Kummers und Ärgers über die ausgebüxte Helena.
    «Ich habe der Ausreißerin einen Moralvortrag gehalten, wie es sich gehört», nahm der Vater den Faden wieder auf. «Dann hab ich ihr gesagt, sie wäre aber doch eine brave Person, dass sie

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