Eiszeit
grauen Haare klebten im Gesicht, auch die Hände waren voller Blut. Über dem hochgerutschten schwarzen Rock trug sie eine kleine weiße Schürze.
»Sie war vermutlich nicht sofort tot und hat noch versucht davonzukriechen «, erklärte Franz, der sich neben Lenz stellte.
»Aber das kann nur eine Sache von ein paar Sekunden gewesen sein, bei der massiven Hirnverletzung.«
»Wann ist es passiert?«
»Vor etwa fünf bis sieben Stunden.«
Lenz ging vorsichtig um den Leichnam herum und zog mit einem Stift die ein paar Millimeter offen stehende Schublade der Registrierkasse heraus. Bis auf ein paar wenige Kleingeldmünzen war sie leer.
Hain kam mit Rolf-Werner Gecks im Schlepptau auf ihn zu.
» Moin , Paul«, begrüßte der altgediente Hauptkommissar seinen Chef.
»Morgen, RW . Bist du schon länger hier?«
»Ich schon, aber die Frage des Tages ist eher, was du hier machst? Thilo wollte nicht damit rausrücken, was dich am Tag vor deinem Urlaub hierher treibt.«
Lenz presste die Lippen zusammen.
»Ich erkläre es dir später. Hast du schon was rausgefunden ?«
»Nicht wirklich. Draußen steht ein Herr Stehl , der ausgesagt hat, dass er gestern als einer der Letzten die Eisdiele verlassen hat. Er wohnt auf der anderen Straßenseite und ist Stammgast hier.« Gecks klappte einen Notizblock auf. »Er ist eine Viertelstunde vor Mitternacht gegangen. Zu diesem Zeitpunkt haben die beiden noch gelebt. Normalerweise, sagt er, haben sie nach Feierabend die Stühle hochgestellt, das Eis aus der Verkaufstruhe nach hinten geräumt und die Theke gewienert. Wie es aussieht, waren der oder die Täter die letzten Gäste.«
»Die Allerletzten«, murmelte Lenz vieldeutig.
»Gefunden wurden die beiden um kurz vor fünf von der Putzfrau. Die ist in der Psychiatrie und im Moment nicht vernehmungsfähig, weil sie völlig zusammengeklappt ist.«
In diesem Moment betraten Heini Kostkamp von der Spurensicherung und zwei seiner Männer das Café, begrüßten die Anwesenden und fingen an, sich umzuziehen.
»Raus hier!«, bellte Kostkamp kurz angebunden, nachdem er einen blendend weißen Tyvek-Anzug und blaue Füßlinge übergestreift hatte. »Ihr habt vermutlich schon genug Unheil angerichtet mit eurem Rumgerenne.«
»Schon gut, Heini«, erwiderte Hain und ging Richtung Ausgangstür. Die anderen beiden folgten ihm, nur Dr. Franz blieb im Raum.
Die Menge der Gaffer vor der Absperrung war kleiner geworden. Offenbar hatte der eine oder andere den Weg zur Arbeit angetreten. Lenz holte tief Luft und legte die Stirn in Falten.
»Das ist echt blöd gelaufen, RW . Der tote Herr Iannone da drin war vor ein paar Tagen bei mir im Präsidium und hat sich über seinen Vermieter beschwert, Jochen Mälzer.«
Gecks pfiff leise durch die Zähne. »Jochen Mälzer …«
»Genau. Dabei hat er auch erwähnt, dass er sich von ihm bedroht fühlte. Allerdings hat er das, bis auf ominöse nächtliche Anrufe, bei denen der Anrufer nichts gesagt hat, in keiner Weise präzisieren können. Es sei mehr so ein Gefühl, sagte er.« Lenz schluckte. »Und jetzt liegt er erschossen da rum.«
»Das kommt wirklich nicht gut, Paul. Wenn er dir allerdings nur ein Gefühl geschildert hat, weiß ich nicht, was du hättest anders machen sollen.«
»Ich hab ihm, als er gegangen ist, gesagt, dass ich mal mit Mälzer sprechen würde. Und das habe ich vergessen. Es war einfach nicht mehr in meinem Kopf.«
»Wie auch immer. Vielleicht gibt es ja gar keinen Zusammenhang zwischen seinem Besuch bei dir und seinem und dem Tod seiner Frau.«
»Möglich, aber nicht wahrscheinlich; den Rest werden hoffentlich die Ermittlungen klären. Natürlich kommt auch ein Raubmord infrage, zumal die Kasse leer geräumt ist. Mir wäre es am liebsten, du würdest hierbleiben und dich darum kümmern, dass die Nachbarn befragt werden. Thilo und ich fahren zu Mälzer und fühlen ihm auf den Zahn.«
Gecks nickte. »Aber fang besser nicht an zu bohren, mit dem Mann ist nicht gut Kirschen essen, außerdem hat er erstklassige Kontakte zu Politik und Justiz, soweit ich weiß.«
»Ja, das habe ich auch gehört. Trotzdem werden wir ihn befragen.«
»Du weißt, wo er seinen Firmensitz hat?«
Lenz sah fragend zu Hain, der nickte.
»Und was ist mit deinem Urlaub?«
»Das weiß ich nicht, RW , und im Moment verschwende ich daran auch keinen Gedanken.«
Damit schob Lenz sich an den verbliebenen Gaffern und der mittlerweile vollzählig versammelten Lokalpresse vorbei und überquerte die vierspurige
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