Eiszeit
hauchte sie eine Viertelstunde später kaum hörbar. »Wenn du mir versprichst, dass das unser Programm der nächsten Wochen ist, kommen wir garantiert nicht dazu, uns die Sehenswürdigkeiten von Maine anzuschauen.«
Er strich mit der flachen Hand über ihren schweißnassen Rücken. »Vergiss es, ich will Urlaub machen. Außerdem sind wir nicht verheiratet, was in manchen amerikanischen Bundesstaaten zu schweren juristischen Konsequenzen führen kann.«
»Ich erzähls keinem.« Sie machte sich von ihm frei, stand auf und sammelte ihre bunt auf dem Boden verstreuten Klamotten ein. »Aber jetzt muss ich los, auch wenn es dramatisch unromantisch ist.«
Lenz se tzte sich aufrecht und sah ihr beim Anziehen zu.
»Warum habt ihr gestritten?«
Sie nahm einen Kamm aus der Tasche, fuhr sich durch die Haare und lächelte ihn an. »Deinetwegen.«
Er musterte sie zweifelnd. »Erzähl keinen Scheiß.« Der Kamm wanderte zurück in den Lederbeutel. »Erich hat mir mal wieder Vorhaltungen gemacht, weil ich allein nach Amerika fliege. Ich hatte keine Lust auf diese Diskussion und hab ihm eigentlich gar nicht zugehört, und das hat ihn dann richtig gallig gemacht. So kam eins zum anderen und am Ende flogen halt Tassen.«
»Er hat mit Tassen geworfen?«
»Nein, das war ich.«
»Du wirfst mit Tassen?«
»Manchmal, ja. Aber nur, wenn mir die Argumente ausgehen oder ich mich in die Ecke gedrängt fühle. Heute wäre es gar nicht nötig gewesen, aber irgendwann war mir einfach danach. Dann ist er abgehauen.«
»Wollte er, dass du nicht wegfährst?«
»Hm«, nickte sie. »Er kann Judy nicht leiden, deshalb findet er es doof, dass ich in ihrem Haus Urlaub mache.«
Judy Stoddart , Marias beste Freundin, hatte das Ferienhaus von ihrer im Jahr zuvor verstorbenen Mutter geerbt.
»Aber du bist sicher, dass er nicht eines Tages vor der Tür steht, weil er dich im Urlaub überraschen will?«
Sie band sich die Haare zu einem Pferdeschwanz, beugte sich zu ihm hinunter und küsste seine Nase.
»Da kannst du ganz beruhigt sein, mein Geliebter. Judy würde sich lieber erschießen lassen, als ausgerechnet Erich zu verraten, wo das Haus steht. Außerdem hat er keine Zeit.«
Er zog sie zu sich, küsste sie auf den Mund und ließ sich zurückfallen.
»Nächster Treffpunkt Flughafen Frankfurt«, erklärte sie im Tonfall einer Bahnhofsdurchsage. »Und wehe, du stehst am Sonntag nicht spätestens um halb zwölf in der Schlange vor dem Lufthansa-Schalter, dann kannst du dir eine andere suchen, die sich dir hingibt. Verstanden?«
»Verstanden«, murmelte er und sah ihr dabei zu, wie sie nach einem letzten gehauchten Kuss durch die Tür schlüpfte.
*
Auf der Fahrt von Fritzlar nach Kassel entdeckte er am nächtlichen Himmel zwischen den Sternen die Blinksignale mehrerer Flugzeuge.
Amerika, dachte er. Mit Maria. Nicht schlecht.
*
Die beiden folgenden Tage verbrachte Lenz in einer Mischung aus Dienst nach Vorschrift und permanent steigendem Reisefieber. Am Mittwochabend ging er bei seinem Hausarzt vorbei, um sich ein Beruhigungsmittel gegen eventuell einsetzende Flugangst verschreiben zu lassen. Danach begann er, die für die Reise notwendigen Kleidungsstücke zu sortieren.
3
Donnerstag, 9. Juli 2009
oder 78 Stunden bis zum Abflug
Der Wecker klingelte gegen halb sechs. Zumindest in Lenz’ Fantasie. Er öffnete ein Auge, blinzelte auf die Uhr und schnaufte. Das Geräusch, das sich in sein Ohr bohrte, war nicht das Klingeln des Weckers, sondern die Melodie des Mobiltelefons neben dem Bett. Er griff danach und drückte die grüne Taste.
»Lenz«, knurrte er in das kleine Mikrofon.
»Tut mir leid, dass ich dich wecken muss, aber wir haben zwei Tote.«
Der Hauptkommissar kniff die Augen zusammen und stöhnte. »Ach, Thilo, lass mich doch mit so was in Ruhe. Morgen ist mein letzter Tag, dann hab ich drei Wochen Urlaub. Ich will mir jetzt nicht noch zwei Tote anschauen, die mich dann den ganzen Urlaub nicht in Ruhe lassen. Nimm dir die Jungs vom Kriminaldauerdienst und kümmer dich drum, du hast mein volles Vertrauen.«
Hain machte eine kurze Pause, bevor er antwortete.
»Glaub mir, Paul, das hätte ich alles ganz genau so gemacht, aber wegen der Identität der Opfer klappt das nicht.«
Nun wurde Lenz hellhörig.
»Wieso das denn? Wer ist es?«
»Signore Iannone und seine Frau.«
Der Hauptkommissar brauchte einen Augenblick, bis er den Namen mit einem Gesicht in Verbindung bringen konnte.
»Ach, du Scheiße«, murmelte
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