Eiszeit
meldete er sich.
»Hallo, Paul«, gab sie kühl zurück.
Lenz merkte sofort, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte.
»Was ist passiert, Maria?«
»Nichts. Was soll schon passiert sein?«
»Hör auf mit dem Scheiß. Ich kenne dich lang genug, um deiner Stimme anzuhören, wenn irgendwas mit dir ist. Hast du Ärger mit deinem Mann?«
»Ganz und gar nicht. Alles in Butter. Ich hatte heute seit langer Zeit mal wieder ein anregendes Gespräch mit ihm.«
Der Polizist nahm nervös das Telefon ans andere Ohr.
»Mach mir bitte keine Angst. Was hast du mit deinem Mann zu besprechen gehabt? Ging es um uns?«
»Mein lieber Paul, manchmal nimmst du dich einfach ein bisschen zu wichtig. Um es klar auszudrücken, es ging nicht um dich und mich. Es ging darum, dass du unbescholtene Kasseler Bürger zu Mordverdächtigen machst.«
Lenz war völlig irritiert.
»Was meinst du damit?«
»Nun tu doch nicht so scheinheilig. Der Herr Kommissar muss sich unbedingt mit jedem anlegen, sonst ist er es doch nicht.«
»Du bist ungerecht, Maria. Ich habe einen schweren Tag hinter mir und keine Lust, mit dir zu streiten. Wenn ich irgendwas falsch gemacht hab, dann sag es mir oder behalt es für dich, in der Mitte gibt es nichts.«
Es dauerte einen Moment, bis sie antwortete.
»Stimmt es nicht, dass du gegen Molina Mälzer wegen des Mordes an den Italienern ermittelst? Hast du sie nicht in ihrem Büro ziemlich unhöflich und grob behandelt?«
»Nein … doch …«
Lenz fühlte sich, als wäre er inmitten eines Tsunami gelandet. »… das ist doch Quatsch, dass ich sie unhöflich oder grob behandelt hätte. Ich bin Polizist und muss jeder Spur nachgehen, ohne Ansehen der Person.« Er schnappte nach Luft. »Und überhaupt, woher weißt du eigentlich davon?«
»Erich hat es mir erzählt.«
»Und woher hat er es?«
»Von Robert Braun, dem Anwalt. Dem hast du ja auch ziemlich zugesetzt, wie man hört. Aber den kenne ich nicht so gut, ganz im Gegensatz zu Molina Mälzer. Die ist eine gute Bekannte von mir und ganz gewiss keine Mörderin.«
»Aber Maria, ich hab sie auch nicht des Mordes verdächtigt. Die Mälzer-Bau-Consulting ist der Vermieter der Eisdiele, und die Mälzers sind die Einzigen, die aus dem Tod des Ehepaares einen Vorteil ziehen. Das macht sie jetzt nicht dringend tatverdächtig, zumal Jochen Mälzer gar nicht in Kassel ist, aber ich muss doch wenigstens nachfragen, zumal es definitiv einige Ungereimtheiten an der Geschichte gibt.«
»Ungereimtheiten nennst du das, wenn die beiden sich dafür starkmachen , Kassel attraktiver zu machen? Das kannst du deiner Großmutter erzählen!«
Lenz kannte Maria Zeislinger gut genug, um zu wissen, dass er jetzt nichts tun konnte. Sie war wütend und in diesem Zustand war jede Möglichkeit zur Reflexion bei ihr ausgeschaltet.
»Maria, ich leg jetzt auf, weil ich keine Lust auf dieses Theater mit dir hab. Du kannst mir glauben oder du kannst es lassen, es ist mir egal. Ich mache meinen Job, das ist alles. Und wenn es dir nicht passt, dass ich dabei manchmal Leuten auf die Füße treten muss, auch prominenten oder semiprominenten Mitbürgern der Kasseler Gesellschaft, dann kann ich dir nicht helfen.«
Er hörte ein Klacken im Ohr. Sie hatte das Gespräch beendet.
Was für ein Albtraum, dachte er, ging zum Kühlschrank und nahm eine Dose Bier heraus.
*
In der Nacht schlief er höchstens zwei Stunden. Immer wieder wachte er aus kurzen Schlafphasen auf, wälzte sich im Bett herum und kämpfte mit den Filmen in seinem Kopf. Gegen 6 Uhr stand er gerädert auf, duschte eine Viertelstunde heiß und kalt und machte sich einen starken Kaffee. Danach war der seifige Geschmack aus seinem Mund verschwunden.
28
Samstag, 11. Juli 2009
oder 30 Stunden bis zum Abflug
Heinz Winterschied war etwa zur gleichen Zeit aufgewacht wie der Kommissar, hatte dann aber noch fast zwei Stunden im Bett gelegen. Auch er hatte die meiste Zeit der Nacht mit offenen Augen verbracht und über die Dinge nachgedacht, die er in den letzten Tagen erlebt hatte. Speziell über die Papiere, die er von Waldemar Sjomin bekommen hatte und die nun zwischen seiner Matratze und dem Lattenrost versteckt lagen. Zuerst hatte er mit diesen verdammten Zahlen auf den Papieren gar nichts anfangen können und gedacht, es handele sich dabei um eine Steuererklärung oder so etwas. Heinz Winterschied hatte in seinem ganzen Leben noch keine Steuererklärung gesehen, vielleicht deshalb. Einmal hatte er sie durchgesehen, dann
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