Eiszeit
sich zurück.
»Wie hat sie es gemacht?«
»Sie hat sich erhängt.«
»Das war klar. Sie hat immer gesagt, wenn es einmal sein müsste, dann nur mit dem Strick. Keine Tabletten und kein Blut.«
»Meinen Sie, dass ihr Selbstmord auch mit ihrer Erkrankung zu tun haben könnte?«
»Was meinen Sie, Herr Lenz? Wenn Sie wüssten, dass in Ihrem Kopf ein tennisballgroßer Tumor haust, der von Tag zu Tag größer wird, weil er von einer ziemlich aggressiven Sorte ist, würden Sie da nicht auch über Selbstmord nachdenken?«
»Sicher«, erwiderte er leise. »Aber Sie wollten mir noch mehr über die Beziehung Ihrer Eltern zu der Mälzer-Bau-Consulting erzählen.«
»Ja, das will ich gerne. Vor etwa drei Wochen haben meine Eltern den Mälzers einen Mahnbescheid geschickt, gegen den sie fristgerecht Widerspruch eingelegt haben. Das heißt, dass es in den nächsten Monaten zu einem Prozesstermin gekommen wäre, bei dem meine Eltern ihre Forderungen hätten begründen müssen und die Mälzers im Gegenzug ihre Sicht der Dinge. Das ist eigentlich ein Hammer, denn es gibt eindeutige Verträge, in denen die zu erbringenden Architektenleistungen und die Gegenleistungen in Form von Geld klar geregelt sind. Aus der Nummer wären die Mälzers nicht rausgekommen und obendrein hätten sie vielleicht noch einen Gesichtsverlust hinnehmen müssen.« Sie winkte ab. »Obwohl, die beiden haben kein Gesicht mehr, das sie verlieren könnten, wenn Sie mich fragen.«
»Es ist also ein Rechtsstreit anhängig zwischen Ihren Eltern und den Mälzers?«
»Ja, klar. Und den hätten meine Eltern mit Donner und Doria gewonnen.«
»Meinen Sie, dass Ihr Vater nun zurücksteckt?«
»Nach dem, was ihm augenscheinlich zugestoßen ist, könnte ich es verstehen. Weiß er eigentlich schon, dass meine Mutter tot ist?«
Lenz schüttelte den Kopf. »Er ist ruhiggestellt . Ich hatte vorhin ein Gespräch mit einer Ärztin und einem Psychologen und wir haben uns darauf geeinigt, dass ich zuerst mit Ihnen rede und wir gemeinsam die weiteren Schritte besprechen.«
»Aber Sie glauben doch nicht, dass die Mälzers bei meinen Eltern eingebrochen haben? Solche Menschen machen sich doch die Hände nicht selbst schmutzig.«
»Nein, das ist ausgeschlossen. Herr Mälzer ist im Moment nachweislich nicht in Europa. Kennen Sie die beiden eigentlich persönlich?«
»Kennen wäre zu viel gesagt. Vor ein paar Jahren, als ich noch im Büro meines Vaters gejobbt habe, sind sie einmal dort gewesen, ganz zu Anfang der unglücklichen Geschäftsbeziehung zwischen meinem Vater und Mälzer. Ich mochte speziell Molina Mälzer nicht leiden, deshalb habe ich nie den Kontakt gesucht.«
Sie strich sich ihre langen dunklen Haare aus dem Gesicht und griff erneut zu dem Päckchen mit den Papiertaschentüchern.
»Wie geht es jetzt weiter, Herr Kommissar?«
»Zunächst wäre es das Beste, sie würden Ihren Vater im Krankenhaus besuchen. Die Ärztin und der Psychologe sind sich nicht sicher, wann der geeignete Zeitpunkt wäre, ihn vom Tod seiner Frau zu unterrichten.«
»Das wird ihn umbringen, egal, wann die Ärzte es ihm beibringen«, vermutete sie mit belegter Stimme.
»Es wäre nicht fair ihm gegenüber, daraus ein Geheimnis zu machen.«
»Wäre es Ihnen recht, wenn ich es ihm sage?«
Lenz fiel ein Stein vom Herzen.
»Sind Sie dazu in der Lage?«
Sie strich sich erneut die Haare aus dem Gesicht und holte tief Luft.
»Mein Vater und ich sind uns nie so ganz herzlich verbunden gewesen. Ich habe noch einen Bruder, der war immer der Star in seinem Kinderensemble. Ich war die Zweitgeborene, das Mädchen; er konnte einfach nicht so viel mit mir anfangen. Ganz im Gegensatz zu meiner Mutter, mit der hatte ich immer ein tolles Verhältnis. In den letzten Jahren war es zunehmend so, dass wir wie die kleine und die große Schwester miteinander geredet haben. Innig und schön. Und es ist merkwürdig, aber die Nachricht von ihrem Tod hat mich nur ein paar Augenblicke lang tieftraurig gemacht, dann kam die Erkenntnis durch, dass ich mich schon seit Wochen damit auseinandergesetzt habe, sie zu verlieren. Schon komisch, oder?«
»Ich weiß nicht«, antwortete er unsicher.
*
Zwei Stunden danach saß Lenz in der Küche seiner Wohnung und starrte auf den gepackten Koffer, der im Flur stand. Dann griff er zum Telefon und wählte Marias Nummer, erreichte jedoch nur ihren Anrufbeantworter. Er hinterließ die Bitte um Rückruf. Kurze Zeit später klingelte sein Telefon.
»Hallo«,
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