Eiszeit
sich gerne hielten, und mit dem Telefonhörer in der Hand und dem Erpressungsopfer am anderen Ende der Leitung sah die Welt plötzlich ganz anders aus.
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Das wurde Lars Gruber am 26. Juni 2009 schlagartig klar, nachdem er zum ersten Mal mit Mälzer telefoniert hatte. Der Baulöwe, in Dutzenden von Verhandlungsrunden gestählt, reagierte völlig anders, als die beiden es sich in ihren Rollenspielen im Vorfeld ausgemalt hatten. Cool, fast arrogant verlangte er Beweise für die von Gruber aufgestellte Behauptung, im Besitz belastenden Materials zu sein. Der Polizist, der einen professionellen Stimmenverzerrer benutzte, kam gehörig ins Schwitzen, bevor er Mälzer zusagen konnte, ihm Kopien an seine Privatadresse zu schicken und ihn in drei Tagen wieder anzurufen.
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Diese Reaktion Mälzers versetzte Franziska Faust in totale Panik. Am liebsten hätte sie sich sofort krankgemeldet oder noch lieber gleich gekündigt, und es gelang ihrem Freund nur unter allergrößten Mühen, sie davon zu überzeugen, es nicht zu tun. So versuchte sie, ihren Job als Empfangsdame und Sekretärin bei der Mälzer-Bau-Consulting zu erledigen, ohne bei jedem Klingeln des Telefons zusammenzuzucken und im Gespräch mit Jochen oder Molina Mälzer möglichst unbefangen und neutral zu wirken. Das gelang ihr zwar, war jedoch unendlich anstrengend und bescherte der jungen Frau einen dauerhaft und dramatisch erhöhten Stresspegel.
Dann, drei Tage später, der nächste Anruf. Und die bittere Erkenntnis, dass sie von Mälzer niemals Geld bekommen würden. Der Baulöwe hatte Gruber mit einfachen, aber wirkungsvollen Worten klargemacht, dass er mit einem guten Anwalt, den er nur anzurufen brauchte, rein gar nichts befürchten müsse. Und dass er unter keinen Umständen die geforderten zwei Millionen Euro bezahlen sowie am nächsten Morgen die Staatsanwaltschaft über den Erpressungsversuch informieren würde. Das hatte Franziska Faust den Rest gegeben. Sie untersagte Gruber jede weitere Aktion und forderte ihn auf, ihr die belastenden Unterlagen zur Vernichtung zu übergeben. Nach einigen hitzigen Diskussionen sah der Polizist ein, dass es vorbei war und der Traum vom großen Geld ausgeträumt. Mälzer hatte ihren Erpressungsversuch kaltblütig abgeschmettert.
Das war nun zwei Wochen her.
Während dieser Zeit war Franziska Faust langsam ruhiger geworden, obwohl sie noch immer unter starken Schlafstörungen litt. Sie konnte ins Bett gehen, wann sie wollte, immer wachte sie gegen 3 Uhr am Morgen auf und lag bis zum Klingeln des Weckers grübelnd wach. Manchmal, wenn Lars Gruber bei ihr übernachtete, genoss sie seine Nähe und dachte darüber nach, mit ihm den Rest ihres Lebens zu verbringen.
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Diese verrückte Sache, wie sie es nannte, und die damit verbunden Ängste hatte sie schon fast aus ihrem Kopf vertrieben. Dann kam der Tag, an dem sie Salvatore Iannone kennenlernte .
Sie war mit ihrer Mutter in der Stadt unterwegs gewesen, danach in einer Boutique auf der Wilhelmshöher Allee. Es war, wie die letzten Wochen immer, extrem heiß gewesen, und so landeten sie auf ein Eis im Café der Iannones . Natürlich wusste Franziska Faust um die Hintergründe des Outlet-Centers und der Schwierigkeiten, die Mälzer den Italienern machte, doch sie war nie zuvor in der Eisdiele gewesen, weil sie in einem ganz anderen Teil der Stadt wohnte. Aber sie war vom ersten Moment von der freundlichen und zuvorkommenden Art Iannones angetan, der an den Tischen vor dem Haus bediente. Und noch während sie dort saß und sich mit ihrer Mutter unterhielt, reifte in ihr der Gedanke, für diese netten Leute etwas tun zu wollen. So steckte sie die Unterlagen, die sie noch immer nicht vernichtet hatte, in einen Umschlag, legte einen kleinen Brief dazu, der den Inhalt erklärte, und adressierte das Ganze. Damit war die Sache für sie erledigt. Eigentlich.
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Denn manchmal gibt es Zufälle, die glaubt man nicht.
Am gleichen Tag, direkt, nachdem sie den Brief abgeschickt hatte, fragte Lars Gruber während des Abendessens auf ihrem winzigen Balkon nach dem Sachstand in der Sache Aktenvernichtung. Zuerst druckste sie herum und wand sich, bis sie damit herausrückte, wo die Unterlagen waren. Oder besser, wohin sie unterwegs waren.
Gruber lief rot an, während sie ihm scheibchenweise die Wahrheit erzählte.
›Bist du von allen guten Geistern verlassen?‹, hatte er in einer Tonlage gefragt, die sie bei ihm noch nie erlebt hatte. ›Wenn
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