Eiszeit
stürzte über die Flurgarderobe. Das Letzte, was sie bewusst wahrnahm, war ein erstickter Schrei von Franziska Faust.
33
Während der kurzen Schlafphase hatte Lenz einen Traum, in dem Maria ihm in der Warteschlange zum Einchecken eine Szene machte. Er bemühte sich ihr zu erklären, dass sie sich wirklich unmöglich benommen hatte und er noch immer sauer auf sie war, bekam jedoch keinen Ton heraus. So stand er vor ihr und ließ ihre Schimpftirade über sich ergehen, bis das Wecksignal des Telefons ihn erlöste. Noch ein wenig benommen schüttelte er den Kopf, streckte sich und brachte den Schreibtischstuhl in die normale Position. Nach einem tiefen Atemzug stand er auf, machte ein paar Dehnungsübungen und verließ sein Büro.
Thilo Hain war hinter seinem PC -Monitor kaum zu sehen, als Lenz das Zimmer betrat.
»Na, alles klar?«, empfing ihn sein Kollege.
Der Hauptkommissar gähnte herzhaft, streckte sich ein letztes Mal und setzte sich. »Ja, klar. Mir geht es wieder prima.«
»Dann kannst du probieren, Heini wegen der Sicherung der Spuren im Wald zu erreichen. Er hat zwar Bereitschaft, ist aber nicht ans Telefon gegangen. Ich konnte ihm nur eine Nachricht hinterlassen.« Er lehnte sich zurück und ließ die Fingerknochen seiner linken Hand knacken. »Dafür habe ich mit Ludger telefoniert und ihn gebeten, sich um den Personenschutz für die Familien der Lappert-Kinder zu kümmern. So freundlich und zuvorkommend habe ich den schon lange nicht mehr erlebt. Er war ziemlich angetan von meiner Arbeit, glaube ich, und will sich melden, wenn der Personenschutz eingetütet ist.«
»Hat er nach mir gefragt?«
»Das war nicht nötig, weil ich immer im Plural gesprochen hab. Und ich glaube nicht, dass er denkt, ich würde mit meiner Freundin auf Ermittlungstour gehen.«
»Bestimmt nicht. Ich vermute …«
Das Telefon auf Hains Schreibtisch unterbrach ihn.
»Geh du dran, das ist bestimmt Heini.«
Der Hauptkommissar griff zum Hörer und nahm das Gespräch an.
»Apparat Oberkommissar Hain«, meldete er sich förmlich.
»Ich bins , Lemmi . Bist du das, Paul? Ich dachte, du seist im Urlaub?«
»Noch nicht«, erwiderte Lenz. »Ich helfe, so gut ich kann, unserem Junior.«
»Das nenne ich Dienstauffassung, alle Achtung. Und dazu noch am Wochenende. Aber ich muss ja auch.«
»Was gibt es denn, Lemmi ? Können wir irgendwas für dich tun?«
»Nicht direkt«, erwiderte Horst Lehmann. »Aber vielleicht kann ich ja was für euch tun.«
»Lass hören.«
»Ihr seid doch auf der Suche nach einem Penner, einem Russen oder so was.«
»Stimmt«, bestätigte Lenz.
»Die Kollegen in Hessisch Lichtenau haben einen ziemlich komischen Vogel auf dem Revier sitzen, das könnte er sein. Es ist auf jeden Fall ein Tippelbruder und er spricht nicht mit ihnen. Sitzt da rum und glotzt die Wand an. Darauf gekommen, dass er euer Mann sein könnte, sind sie wegen eines Buches, das er bei sich hat. Es ist in russischer Sprache.«
»Das ist er«, rief Lenz elektrisiert. »Das kann nur unser Mann sein. Auf der Wache in Hessisch Lichtenau, sagst du?«
»Ja. Ruf einfach da an und sprich mit den Kollegen.«
»Geil, das mache ich sofort. Und danke, Lemmi .«
Damit warf er den Hörer auf die Gabel und grinste.
»Auf dem Revier in Hessisch Lichtenau sitzt ein Tippelbruder, der nicht spricht und ein Buch auf Russisch dabeihat. Such mir bitte die Nummer von denen raus.«
Fünf Minuten später hatte Lenz seinen Besuch bei den Kollegen im Werra-Meißner-Kreis angekündigt und war mit Hain zusammen auf dem Weg zum Parkplatz.
»Kann ich fahren?«, fragte er, als sie vor dem kleinen japanischen Cabrio des Oberkommissars standen.
»Du willst mein Auto fahren? Das gab es ja noch nie.«
»Heute schon. Also lässt du mich?«
Hain warf ihm den Schlüssel zu und kam auf die Beifahrerseite. »Das erste Mal tut immer weh«, meinte er achselzuckend und stieg ein.
*
Lenz war die gesamte Fahrt über aufgeregt wie ein Schuljunge. Zum einen hatte er lange keinen solch leistungsstarken Wagen mehr bewegt, zum anderen fragte er sich ständig, ob der Mann, wegen dem sie nach Hessisch Lichtenau fuhren, tatsächlich dieser Waldemar war.
*
»Ist ja idyllisch hier«, meinte Hain etwa eine halbe Stunde später, als sie auf den Hof des Polizeireviers rollten. Die Wache lag inmitten eines Gewerbegebietes etwas außerhalb der Stadt.
»Wir sind nicht wegen der schönen Aussicht hier, Thilo«, erwiderte Lenz, sprang aus dem Auto und legte den
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