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Eiszeit

Eiszeit

Titel: Eiszeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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gleich.«
    »Ach so, jetzt verstehe ich. Zuerst kam Iannone , dann dauerte es einen Moment und dann kam dieser Sergio Irgendwas.«
    »Das ist mutig, so viel aus seinen Worten zu lesen«, meinte Hain skeptisch und kratzte sich am Kopf.
    »Und jetzt, Herr Sjomin , müssen wir noch die Sache mit dem Papier klären«, fuhr Lenz ungerührt fort. »Was war das für Papier? Altpapier?«
    Der Russe schien nicht zu verstehen, griff dann aber zu den Phantombildern, strich sie glatt, drehte sie um, und legte sie übereinander. »Das Papier«, sagte er und machte wieder die wegwerfende Handbewegung. Dann schlug er sich mit der flachen Hand an die Brust. »Zu mich.«
    »Also wusste der Besitzer der Eisdiele, dass Sie da schlafen wollten?«
    Sjomin schüttelte energisch den Kopf.
    »Nix wissen.« Er kramte in seinem Kopf nach dem deutschen Wort, das Winterschied gebraucht hatte, als er ihm in dessen Wohnung von der Nacht und den fliegenden Dokumenten erzählt hatte.
    »Ich zufällig.«

34
    Molina Mälzer hatte einen schrecklichen Geschmack im Mund, als sie wach wurde. Sie wollte sich mit der Zunge über die brennenden Lippen fahren, doch ihr Mund ließ sich nicht öffnen. Wieder versuchte sie es, aber es gelang ihr nicht. Auch die Augen waren wie mit einer Schraubzwinge verklemmt. Mit den langsam einsetzenden Lebensgeistern und dem Fehlen jeglicher Orientierung überkam sie eine grenzenlose Panik. Die Panik, ihr Leben zu verlieren.
    Der Geschmack in ihrem Mund war Blut. Ihr Blut. Als sie ein weiteres Mal versuchte, die Zunge gegen den Widerstand nach vorne zu schieben, bemerkte sie, dass dort, wo bis vor ein paar Minuten oder Stunden, das konnte sie nicht abschätzen, ihre Schneidezähne gewesen waren, eine große, fleischige Lücke klaffte. Immer wieder fuhr sie mit der Zunge durch die Lücke und wollte nicht glauben, was sie spürte und schon jetzt brutale Gewissheit war: Ihr fehlten die Schneidezähne.
    Die Arme hatte man ihr nach hinten gebunden, die Füße ebenfalls nach hinten und nach oben gezogen und mit den Händen zusammengeknotet. Sie war ein gut verschnürtes Päckchen, das sich nicht rühren und nichts sehen konnte. Mit aller Kraft der Arme und Beine stemmte sie sich gegen den Widerstand, ohne jegliche Wirkung. Wieder und wieder versuchte sie es. Irgendwann wurde ihr Körper schlaff und sie begann leise zu weinen.

     
    *

     
    Einige Zeit später, wieder konnte sie nicht abschätzen, wie viel Zeit tatsächlich vergangen war, hörte sie von irgendwoher Gepolter. Dann kamen Schritte näher und etwas wurde neben ihr abgestellt. Sie schrie so laut sie konnte auf, doch schon wenige Sekundenbruchteile später wurde ihre Nase brutal zusammengedrückt. Nun war es ihr unmöglich, einen weiteren Ton von sich zu geben, aber es war ihr auch unmöglich zu atmen. Panisch bäumte sie sich auf, so weit es ihre Fesseln zuließen, doch die Umklammerung an ihrer Nase bewegte sich mit. Sie rang so heftig nach Atemluft, dass es laut in ihren Ohren knallte. Dann wurde ihre Nase freigegeben und sie atmete gierig ein.
    »Wenn Sie noch einmal einen Laut von sich geben, stecke ich Ihnen eine Wäscheklammer an die Nase und sehe Ihnen beim Sterben zu.«
    Diese Stimme! Die Stimme des Mannes, den sie als Gonzales kannte. Sie wagte nicht, etwas zu sagen, und nickte nur wimmernd mit dem Kopf.
    »Gut«, lobte er sie. Nun wurde ihr Körper am Rücken und den Beinen angehoben, ein paar Meter weit getragen und wieder abgesetzt. Kräftige Hände schoben ihre Extremitäten hin und her. Dann bemerkte sie, wie etwas über sie gestülpt wurde. Ihren Impuls loszuschreien konnte sie nur durch den Gedanken an Gonzales’ Drohung unterdrücken. Es klickte ein paar Mal dumpf, danach war für ein paar Sekunden Stille.
    Molina Mälzer, die Frau, die ihre arrogante Haltung gegenüber anderen Menschen zur Kultur erhoben hatte, versank in Todesangst. Mit vorsichtigen Bewegungen ihrer Arme und Beine versuchte sie abzuschätzen, wo sie sich befand. Ihre Hände berührten etwas Raues, ihre Füße stießen gegen einen Widerstand, ebenso die Knie. Schockiert wurde ihr klar, dass sie sich in einer Kiste befand, die im selben Moment in Bewegung geriet. Wäre sie nicht so passend verpackt gewesen, wäre sie nun hin und her geschleudert worden. So jedoch spürte sie nur, dass ihr das Blut in den Kopf schoss, weil sie kopfüber in ihrem Gefängnis hing.
    Es gab ein paar Lageveränderungen , bevor sie merkte, dass sich die ganze Kiste zur Seite neigte und in Bewegung setzte.

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