Eiszeit
zwei Gläser Wasser und eine Tasse Kaffee, ohne abzusetzen.
»Schön, dass Sie mit uns sprechen, Herr Sjomin «, begann Lenz. »Unsere Fragen beziehen sich in der Hauptsache auf die Nacht von Mittwoch auf Donnerstag.« Er wartete auf eine Reaktion des Russen, doch es kam keine. Normalerweise hätte er jetzt die Frage nach dem Aufenthaltsort des Russen in der fraglichen Nacht gestellt, aber er wollte den Mann nicht unter Druck setzen.
»Sie waren in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag eine Zeit lang hinter der Eisdiele an der Wilhelmshöher Allee. Stimmt das?«
Sjomin nickte. »Da.«
»Das ist Russisch und heißt ja«, belehrte Hain seinen Chef leise. Der tat so, als hätte er nichts gehört.
»Und Sie haben etwas gesehen, das Ihnen Angst gemacht hat?«
Wieder nickte Sjomin und bedachte Hain mit einem vielsagenden Blick. »Ja«, antwortete er dann auf Deutsch. »Habe gesehen Mann von Eis.«
»Haben Sie noch mehr Männer gesehen?«
»Da«, antwortete er wieder. »Ja.«
Der Oberkommissar zog ein paar Blätter aus der Innentasche seines Sakkos, entfaltete sie und reichte sie weiter an Lenz. »Hier, die Phantombilder.«
»Moment noch, Thilo«, bremste sein Chef ihn und wandte sich wieder Sjomin zu. »Haben Sie gesehen oder gehört, dass in dem Eiscafé geschossen wurde?«
»Nein. Nix hören.«
»Hat einer der Männer, die Sie gesehen haben, auf Sie geschossen?«
Sjomin holte tief Luft und fing leicht an zu zittern. »Schießen auf mich, da.«
»Ein Mann hat ein Mal auf Sie geschossen?«
»Ein Mal schießen. Leise schießen.«
»Und dann?«
»Ich weg. Laufen, schnell.«
Nun drehte Lenz die Phantombilder in seine Richtung und schob sie über den Tisch.
»War einer der Männer hier derjenige, der auf Sie geschossen hat?«
Der Russe deutete, ohne zu überlegen, auf eines der Bilder.
»Das der Mann der schießen.«
»Das ist dieser Sergio Vélez «, erklärte Hain leise seinem Chef.
»Und Sie sind ganz sicher, Herr Sjomin ?«
Ohne zu antworten, deutete der Mann aus Sibirien mit dem Zeigefinger noch einmal auf die Darstellung und nickte.
»Wie ging es weiter, nachdem Sie weggelaufen waren?«
»Ich alles weg«, antwortete Sjomin leise. »Alles. Nix Tabak, nix schlafen, nix lesen. Alles weg.«
»Das wissen wir. Sie mussten Ihre ganzen Sachen zurücklassen. Schlafsack, Tabak, Kerze. Und Ihr Buch von Tolstoi, ›Krieg und Frieden‹.«
»Da. Tolstoi. Dann in Wald, neue schlafen. Nix wieder zurück.«
Die beiden Beamten waren ratlos. »Vielleicht meint er, dass er sich einen neuen Schlafplatz gesucht hat«, interpretierte Lenz die Worte des Obdachlosen.
»Mag sein, aber das tut im Moment nicht viel zur Sache. Am nächsten Tag«, fragte er Sjomin weiter, »waren Sie an der Fulda. Herr Winterschied wollte sich mit Ihnen und uns treffen. Ist das richtig?«
» Winteschid , da. Heinz. Gutes Mensch.«
»Das stimmt, ja«, bestätigte Lenz. »Er wollte uns helfen, Sie zu finden, was leider mit dem Tod von Herrn Pallhuber geendet hat. Kannten Sie Herrn Pallhuber ? Den Österreicher?«
Wieder nickte Sjomin . »Ich kenne.« Er deutete auf sein Herz. »Kaputt.«
»Ja«, bestätigte Lenz und sah Sjomin ernst an. »Aber das war ein Missverständnis. Herr Pallhuber , der Österreicher, kannte die Leute, die ihn erschossen haben, gar nicht. Wir gehen davon aus, dass der Mordanschlag eigentlich Ihnen galt.«
Sjomin legte den Kopf schief und zuckte mit den Schultern. Offenbar hatte er nichts von dem verstanden, was Lenz gesagt hatte.
»Das erkläre ich Ihnen später, Herr Sjomin . Ich muss nämlich noch einmal auf die Nacht zurückkommen, als Sie den Mann hinter der Eisdiele gesehen haben.« Er deutete auf das Phantombild. »Als Sie weggelaufen sind, hat der Mann auf Sie geschossen. Und vorher haben Sie keine Schüsse gehört?«
»Nein. Eismann aus Tür kommen, werfen Papier.« Er machte eine Bewegung, als wolle er etwas wegschleudern. »Dann Mann mit Pistole. Zurück.«
Die Polizisten waren irritiert.
»Der Besitzer der Eisdiele hat mit Papier geworfen? Nach dem Mann, der ihn verfolgt hat?«
»Nix Mann. Mir.«
Lenz schüttelte den Kopf und sah seinen Kollegen an. »Das ist mir zu hoch, Thilo. Hast du eine Ahnung, was er meinen könnte?«
»Nicht die Spur.«
»Ich muss nachhaken, Herr Sjomin . Der Besitzer der Eisdiele kam aus der Hintertür und ist auf den Hof gelaufen?«
»Schnell laufen, da.«
Lenz deutete auf das Phantombild vor dem Russen.
»Dieser Mann ist hinter ihm hergerannt ?«
»Da. Nix
Weitere Kostenlose Bücher