Eiszeit
zwischen Erfolg und Mißerfolg ausmachen.«
»Sie sind unnachgiebig?«
»Ja.«
Schukow seufzte.
»Sie könnten mich meines Kommandos entheben«, sagte Gorow. »Auf der Stelle. Sie haben einen Grund dafür. Ich würde es Ihnen nicht übelnehmen, Emil.«
Schukow starrte seine Hände an; sie zitterten leicht. »Wenn sie Ihnen die Erlaubnis verweigern, die Sie erhoffen ... werden Sie dann umkehren und die Überwachungsmission fortsetzen?«
»Ich hätte keine andere Wahl.«
»Sie würden umkehren?«
»Ja.«
»Sie würden nicht den Gehorsam verweigern?«
»Nein.«
»Ihr Wort?«
»Mein Wort?«
Schukow dachte darüber nach.
Gorow erhob sich von dem Stuhl. »Nun?«
»Ich muß verrückt sein.«
»Sie sind damit einverstanden?«
»Wie Sie wissen, habe ich meinen zweiten Sohn nach Ihnen benannt. Nikita Schukow.«
Der Kapitän nickte. »Ich war geehrt.«
»Nun, wenn ich mich in Ihnen geirrt habe, wenn ich ihn nicht Nikita hätten nennen sollen, werde ich es jetzt nie vergessen können. Er wird mich stets an meinen Fehler erinnern. Auf diesen Dorn in meinem Fleisch kann ich verzichten. Also werde ich Ihnen eine weitere Gelegenheit geben müssen, mir zu beweisen, daß ich von Anfang an recht hatte.«
»Peilen wir diesen Eisberg noch einmal an«, sagte Gorow lächelnd, »und berechnen dann einen Kurs, Leutnant.«
Nachdem sie zum dritten Sprengloch zurückgekehrt waren, ließen Pete und Roger die beiden Schneemobile mit laufenden Motoren und brennenden Scheinwerfern im Leerlauf stehen. Abgase quollen aus dem Auspuff und bauschten sich zu hellen kristallinen Säulen auf. Sie gingen in entgegengesetzte Richtungen los, und Harry brach in eine dritte auf, um in den Verwehungen, hüfthohen Eiswällen und niedrigen Eishügeln, die die Stätte umgaben, nach Brian Dougherty zu suchen.
Vorsichtig, im Bewußtsein, daß er vom Sturm genauso schnell und vollständig verschluckt werden konnte, wie es bei Brian der Fall gewesen war, suchte Harry die schwarzweiße Landschaft ab, bevor er sich ihr anvertraute. Er benutzte seine Taschenlampe wie eine Machete, schwang sie von einer Seite zur anderen. Der gelbliche Strahl durchschnitt den fallenden Schnee, doch der weiße Dschungel ließ sich davon nicht stören. Alle zehn Schritte schaute er über die Schulter zurück, um festzustellen, ob er sich zu weit von den Schneemobilen entfernte. Er hatte den Abschnitt der Eishülle, der von den Scheinwerfern erhellt wurde, fast verlassen, wußte jedoch, daß er die Schlitten nicht völlig aus dem Blick verlieren durfte. Sollte er sich verirren, würde über dem kreischenden, jaulenden Wind niemand seine Hilferufe hören. Obwohl das Licht der Schneemobile von dem unglaublich dichten Schneefall zerstreut und gedämpft wurde, war es sein einziger Wegweiser in die Sicherheit.
Noch während er aufmerksam hinter jeder Verwehung und schrägen Eisplatte suchte, hegte er nur eine spärliche Hoffnung, Dougherty je finden zu können. Der Wind war heftig. In der Stunde fielen fünf Zentimeter Schnee, wenn nicht sogar noch mehr. In den kurzen Augenblicken, in denen er stehenblieb, um sich besonders lange, tiefe Schatten näher anzusehen, bildeten sich Verwehungen an seinen Stiefeln. Wenn Brian seit fünfzehn Minuten oder noch länger auf dem Eis lag, bewußtlos oder irgendwie anderweitig unfähig, sich zu bewegen ... Nun ja, mittlerweile würde der Junge völlig von Schnee bedeckt sein, ein glatter weißer Klumpen, wie jeder andere Hügel und jede andere Verwehung, auf dem Untergrund festgefroren.
Es ist hoffnungslos, dachte Harry.
Und dann, keine zwölf Meter von dem Bohrloch entfernt, trat er um einen Monolithen aus Eis, der so groß wie ein achtachsiger Sattelschlepper war, und fand Brian auf der anderen Seite. Der Junge lag flach auf dem Rücken, einen Arm ausgestreckt, den anderen auf der Brust. Er trug noch die Brille und die Schneemaske. Auf den ersten Blick schien er sich dort zu rekeln, lediglich ein Nickerchen zu halten, nicht die geringsten Schwierigkeiten zu haben. Da die aufrecht stehende Eisplatte als Windbrecher fungierte, hatte der Schnee ihn nicht bedeckt. Aber er bewegte sich nicht.
Harry kniete neben ihm nieder und zog die Schneemaske von dem Gesicht. Dünne, unregelmäßige Atemzüge kondensierten vor den geöffneten Lippen zu Wölkchen. Er lebte. Aber wie lange noch? Brians Lippen waren schmal und blutlos. Seine Haut war genauso weiß wie der Schnee, der ihn umgab. Als Harry ihn anstieß, bewegte er sich nicht. Seine
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