Elben Drachen Schatten
absurden Vorstellung, ein edleres Geschlecht zu sein, und so seid ihr Sklaven eures Stolzes und der Eitelkeit.« Wieder dieses höhnische Kichern. »Bereitet Euch innerlich auf den Kampf vor, der Euch bevorsteht.«
»Erzählt mir von meinem Gegner!«, forderte Keandir.
»Dem Feuerbringer? Ich sagte Euch doch, dass er der Bruder des Furchtbringers ist. Beide geschaffen, um den Geist zu knechten, und dazu verdammt, mich zu bewachen. Es ist mir bis heute ein Rätsel, wie mein Bruder Xaror es schaffen konnte, diese primitiven Kreaturen so weit zu bändigen, dass sie ihm wie treue Diener gehorchten und sich seinem magischen Bann fügten. Und das selbst über seinem Tod hinaus.«
»Das klingt fast, als würdet Ihr die Arglist Eures Bruders bewundern«, meinte Keandir.
»In gewisser Weise trifft das zu, Elbenkönig. Denn er war erfolgreich.« Der Augenlose schürzte die Lippen seines zahnlosen Munds und kommentierte die Worte seiner Geisterstimme mit zustimmendem Glucksen. Speichel tropfte dabei über seine schmalen Lippen und sorgte dafür, dass Keandir ein tiefes Gefühl des Ekels überkam.
Sie setzen ihren Weg fort, und der Augenlose wies seine elbischen Begleiter an, ihm dicht auf den Fersen zu bleiben. »Gerade hattet Ihr Glück. Doch wenn Ihr zurückbleibt und meine Magie den Stollen, in dem Ihr steht, nicht weiterhin aufrecht erhält, kann es geschehen, dass Ihr für ewig im Gestein gefangen bleibt.«
»Es liegt in Eurem Interesse, gut auf uns aufzupassen«, sagte Keandir.
Der Augenlose wandte kurz den Kopf und verzog den Mund auf eine Weise, die sich für Keandir jeder Interpretation entzog. Offenbar war das Spektrum an Gefühlen bei dieser unvorstellbar alten Kreatur sehr breit und hatte Facetten, die einem Elben vollkommen fremd waren.
»Wenn wir auf den Feuerbringer treffen«, sagte der Augenlose nach längerer Pause, »vertraut Ihr am besten einfach auf Euren Mut und Euer Schwert. Einen anderen Rat kann ich Euch nicht sagen. Glaubt mir, es wäre auch mir wohler, wäre ich nicht auf Euch angewiesen. Aber leider stehe ich immer noch unter dem magischen Bann meines Bruders und bin daher gewissen Einschränkungen unterworfen.«
Keandir sagte nichts darauf. Er und Branagorn versuchten so gut es ging, mit dem Augenlosen Schritt zu halten. Beide empfanden es als zunehmend unangenehm, so eng an dieses undurchsichtige Wesen gebunden zu sein. Das hatte zum Teil mit den Ausdünstungen seines Körpers zu tun, die für eine empfindliche Elbennase eine Folter waren. Noch viel schlimmer war die geistige Aura, die ihn umgab. Immer wieder fühlte sich Keandir von den Gedanken des Sehers bedrängt. Wie Fremdkörper tauchten sie plötzlich zwischen Keandirs eigenen Gedanken auf, und es bedurfte schon großer innerer Disziplin, sie wieder zurückzudrängen.
Endlich öffnete sich vor ihnen eine gewaltige kathedralenartige Höhle. Sie war noch wesentlich größer als die Tropfsteinhöhle, in der sich der See des Schicksals befand.
Tropfsteine gab es hier nicht. Stattdessen zeigten die felsigen Höhlenwände sehr deutlich, dass sie künstlich bearbeitet worden waren. Leuchtende Steine in den Wänden verbreiteten ein grünliches Licht, und an den Wänden und der Decke entdeckten die beiden Elben seltsame Linien und Symbole, die aussahen, als wären sie in den Stein gebrannt.
»Wir sind am Ort der Entscheidung«, erklärte der Augenlose. »Ihr mögt es glauben oder nicht, doch die Ouroungour haben diesen Ort vor langer Zeit geschaffen. Er gehört zu einem Höhlenlabyrinth, bei dem es unmöglich ist zu sagen, welcher Teil davon künstlich angelegt wurde und welchen die Natur geschaffen hat. Mehrere dicht beieinander stehende Bergmassive wurden einst vollkommen ausgehöhlt.«
»Das klingt, als würdet Ihr die Äfflinge bewundern«, stellte Keandir überrascht fest.
»Nicht sie, sondern ihre Vorfahren«, korrigierte der Augenlose. »Und Bewunderung würde ich es auch nicht nennen. Vor ihnen gab es Völker, die noch Größeres vollbracht haben, auch wenn selbst ich mich kaum noch an sie zu erinnern vermag.«
Ein knarrender Laut ertönte, der klang wie das Knurren eines gewaltigen Untiers. Es schien von überall zu kommen, und das vielfache Echo verstärkte es zu ohrenbetäubender Intensität, während es minutenlang anhielt.
Endlich ebbte es ab.
»Was war da?«, fragte Keandir.
»Nichts, was Euch im Moment interessieren müsste«, versicherte der Augenlose.
»Dieses Gefühl habe ich aber ganz und gar nicht«, widersprach
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