Elementarteilchen kuessen besser
hatte regelrecht Schiss.
Diese ganze Reise entpuppte sich – so schön sie auch war – als Lindas größter Albtraum. Sie war aus ihrem routinierten Alltag gerissen. Ständig musste sie sich auf neue, zwischenmenschliche Situationen einstellen, richtig darauf reagieren und inständig hoffen, dass sie sich dabei nicht blamierte.
Ganz besonders hinderlich waren in dem Zusammenhang ihre fremden und ungewohnten Gefühle für Philipp. Am Anfang war sie noch irritiert gewesen, wie diese zwei konträren Hälften – der konservative Rechtsanwalt und die zügellose, dunkle Seite seines Charakters – zusammenpassten. In ihren Augen war er nur ein Perverser auf Brautschau gewesen. Ein faszinierender Perverser.
Seit sie aber wusste, dass dieser Vorwurf unbegründet war, war alles fast noch schlimmer. Denn Philipp war nun ein normaler, sympathischer Mann, der Linda näher kennenlernen wollte! Das war entschieden ein Grund, nervös zu werden und wieder in jedes verfügbare Fettnäpfchen zu treten. Denn: So stark hatte sie sich noch nie zu einem Mann hingezogen gefühlt wie zu ihm. Er hatte etwas an sich, das sie faszinierte, magnetisch anzog und in seiner Intensität gleichzeitig erschreckte. Wenn sie sich in seinen Augen verlor, vergaß sie alles um sich herum. Ihr Kopf wurde plötzlich leer und schien nur noch einen Lebensinhalt zu kennen: in diesen intensiv blickenden Augen wie in einem Schokoladenmeer zu ertrinken. Dann verselbstständigten sich in Gedanken ihre Hände, die durch sein glänzendes, kastanienbraunes Haar fahren wollten; ihre Arme, deren größtes Bedürfnis es war, sich zärtlich um seinen Hals zu legen; ihre Lippen, die ihm einen Kuss auf seinen Mund hauchten.
Sie musste sich eingestehen, dass sie Angst davor hatte. Angst, schließlich doch diese Gefühle zuzulassen, die sie jahrelang zurückgehalten, verdrängt und in einer dunklen Kammer verschlossen hatte. Sie bewusst zu spüren oder sie gar auszuleben. Gott bewahre!
In Philipps Gegenwart fühlte sie sich schwach, weil ihre Knie in etwa die Stabilität von Gummibändern bekamen, und machtlos, da sie sich nicht gegen seine Ausstrahlung verschließen konnte. Dadurch wiederum fühlte sie sich manipuliert, was sie hasste, weil sie sonst immer die Kontrolle über alles in ihrem Leben hatte, auch über ihre Gefühle.
Aber warum musste das gerade jetzt passieren? Jetzt, wo sie zufrieden mit ihrem Leben war. Wo sie viel erreicht hatte und friedlich, zwar ohne Mann, aber doch sorglos leben konnte. Jahrelang hatte sie sich gewünscht, jemanden kennenzulernen, der sie verstand, sie akzeptierte, wie sie war. Irgendwann hatte sie resigniert vor ihrer Schüchternheit und vor ihrer damit einhergehenden Schusseligkeit kapituliert. Sich damit getröstet, dass sie andere Lebensziele hatte, die wichtiger waren – zum Beispiel die Wissenschaft und Forschung. Und sie war gut damit klargekommen. Bis vor einer Woche ...
Als sie in der letzten Nacht in ihrem Bett gelegen und noch lange an das Gespräch mit Philipp am Pool hatte denken müssen, hatte sie sich vorgestellt, wie es wäre, ihm nah zu sein. Dabei ließ ihre Fantasie ein romantisches Candle-Light-Dinner in einem teuren Restaurant links liegen und konzentrierte sich auf das Wesentliche ...
Dank der äußerst anregenden und bildhaft beschriebenen Szenen aus ihrem Urlaubsroman tauchten Bilder auf, wie sich seine weichen Lippen auf ihren Mund legten, ihn liebkosten und erforschten. Und sie würde – anders als früher – seinen Kuss erwidern können, ohne sich dabei lächerlich zu machen. Begierig würde er eine brennende Spur von gehauchten Brandmalen von ihrem Hals bis zu ihren Brüsten ziehen, um die Stellen an ihrem Körper zu liebkosen, die noch nie die Aufmerksamkeit eines Mannes erfahren hatten ...
Energisch musste sie ihren herrlich sündigen Gedanken Einhalt gebieten, denn sie war schon bei ihrer Kabine angekommen. Sie musste unbedingt diese Fantasien hinter sich lassen, wenn sie dem Objekt ihrer Träume in wenigen Minuten in seiner Kabine gegenübertrat, sonst konnte sie für ihre Gelassenheit und die Sicherheit von Philipps körperlichen Vorzügen nicht mehr garantieren.
Kurz darauf klopfte sie an seine Tür und wurde mit einem breiten Lächeln begrüßt: „Setz dich doch. Möchtest du etwas trinken?“
Doch Linda verneinte dankend und ließ sich auf den schweren Sessel neben dem kleinen Tischchen nieder.
Sie hatte ihre dunkelblonden Haare wieder zu einem festen Knoten zusammengebunden, wie
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