Elenium-Triologie
Löwenstraße und bogen nach links. »Das Hurenhaus ist gleich da vorn«, sagte Talen, während er Sperber am Zipfel seines nassen Umhangs hinter sich herzog. Plötzlich blieb er stehen.
»Was ist los?« fragte Sperber.
»Konkurrenz«, antwortete der Junge. »Ein Einbeiniger lehnt an der Wand neben der Tür.«
»Bettelt er?«
»Was sonst?«
»Und nun?«
»Ich sag' ihm, daß er woanders hingehen soll.«
»Wird er denn auf dich hören?«
Talen nickte. »Ganz sicher, wenn ich ihm sage, daß Platime den Platz uns zugeteilt hat. Wartet hier. Ich bin gleich zurück.«
Der Junge humpelte mit seiner Krücke die regenglatte Straße zu der roten Freudenhaustür hoch und redete kurz auf den Einbeinigen ein, der dort bettelte. Der Mann funkelte ihn kurz an; dann kam sein fehlendes Bein auf wundersame Weise aus seinem groben Kittel zum Vorschein, und er stapfte mit seiner Krücke unter dem Arm brummelnd davon.
Talen kehrte zu Sperber zurück und führte ihn zur Freudenhaustür. »Lehnt Euch an die Wand und streckt die Schüssel aus, wenn jemand in die Nähe kommt. Doch haltet sie nicht direkt vor ihn, denn Ihr seht ihn ja scheinbar nicht. Also zielt ein wenig daneben.«
Ein sichtlich wohlhabender Kaufmann kam mit eingezogenem Kopf und fest in seinen dunklen Umhang gehüllt vorbei. Sperber streckte seine Schüssel aus. »Eine milde Gabe«, bat er mit flehender Stimme.
Der Kaufmann achtete nicht auf ihn.
»Nicht schlecht«, lobte Talen. »Aber denkt daran, Eure Stimme ein bißchen stockend klingen zu lassen.«
»Hat er deshalb nichts in die Schüssel geworfen?«
»Nein. Kaufleute geben nie was.«
»Oh!«
Ein paar Arbeiter in Lederkitteln kamen die Straße hoch. Sie unterhielten sich laut und torkelten leicht.
»Almosen«, bat Sperber.
Talen schniefte und wischte sich die Nase am Ärmel ab. »Habt Erbarmen, gute Meister«, rief er mit belegter Stimme. »Helft meinem armen blinden Vater und mir.«
»Warum nicht?« entgegnete ein Arbeiter gutgelaunt. Er kramte in einer Tasche, brachte ein paar Münzen zum Vorschein und blickte sie an. Dann wählte er ein kleines Kupferstück aus und warf es in Sperbers Schüssel.
Ein anderer kicherte. »Er will wahrscheinlich genug zusammenkriegen, daß er hineingehen und sich mit den Mädchen vergnügen kann.«
»Das ist seine Sache, oder nicht?« entgegnete der Großzügige, während sie weiterstapften.
»Der erste Erfolg«, lobte Talen. »Schiebt das Kupferstück in Eure Tasche. Wir dürfen nicht zu viele Münzen in der Schüssel haben.«
Während der nächsten Stunde nahmen Sperber und sein jugendlicher Lehrer etwa ein Dutzend Münzen ein. Nach den ersten Erfolgen betrachtete Sperber es als Herausforderung und empfand ein Triumphgefühl, wann immer es ihm gelungen war, einem Vorübergehenden eine Münze zu entlocken.
Eine prunkvolle, von zwei prächtigen Rappen gezogene Kutsche kam die Straße hoch und hielt vor der roten Tür an. Ein Lakai sprang von seinem Trittbrett hinten an dem Gefährt, zog eine Stufe an der Seite der Kutsche hervor und öffnete die Tür. Ein ganz in grünem Samt gekleideter Edelmann stieg aus. Sperber kannte ihn.
»Es kann eine Weile dauern, Süßer«, sagte der Edle und streichelte über das knabenhafte Gesicht des Lakaien. »Die Kutsche soll ein Stück straßab auf mich warten.« Er kicherte wie ein Gänschen. »Jemand könnte sie erkennen, und ich möchte wahrhaftig nicht, daß die Leute glauben, ich würde so ein Haus besuchen.« Er rollte die Augen und stolzierte zur roten Tür.
»Ein Almosen für einen Blinden«, bettelte Sperber und streckte die Schüssel aus.
»Aus dem Weg, Lumpenpack!« Der Edle wedelte mit der Hand, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen. Er öffnete die Tür und trat ein, während seine Kutsche wieder anfuhr.
»Merkwürdig«, murmelte Sperber.
»Ja, ein seltsamer Vogel.« Talen grinste.
»Also, das hätte ich nie erwartet – Baron Harparin besucht ein Freudenhaus!«
»Auch Edle haben Bedürfnisse, oder nicht?«
»Harparin ganz sicher, aber ich glaube nicht, daß die Mädchen da drinnen imstande wären, sie ihm zu stillen. Er könnte allerdings dich interessant finden.«
Talen errötete. »Vergeßt es«, wehrte er ab.
Sperber runzelte die Stirn. »Weshalb geht Harparin in das Freudenhaus, in dem Krager sich einquartiert hat?«
»Kennen sie einander?«
»Kann ich mir nicht vorstellen. Harparin ist ein Ratsmitglied und enger Freund von Annias. Krager ist ein drittklassiger Gauner. Wenn sie sich da
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