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Elf Leben

Elf Leben

Titel: Elf Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Watson
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sich durch ein paar Spiele gegen notorische Verlierer, bevor er von dem ehemaligen Popstar besiegt wird, den Vijay im Finale mühelos erledigt. Auch diesmal setzt er mehrfach auf einen Buchstabentausch, und obwohl sich nur einer von vieren oder fünfen auszahlt, ist ein erfolgreicher Tausch so wirkungsvoll, dass das keine Rolle spielt.
    Wie immer lädt Vijay von einem Teil seines Gewinns alle in den Pub ein. Der Organisator erzählt eine weitschweifige Anekdote darüber, wie er letztes Wochenende mit einem Minibus nach Torquay gefahren ist; überladen mit unnützen Details, ruft sie nur ein paar höfliche Lacher hervor. Es wird kurz über Fußball geredet, über den heißen Sommer, der den Meteorologen zufolge bevorsteht, und über Jugendkriminalität. Der Popstar versucht, die anderen für eine zweite Runde Getränke zu begeistern, aber das Kajak-Pärchen muss los – morgen geht’s nach Frankreich –, und damit ist die Luft aus der Zusammenkunft. Schon bald macht sich Xavier auf den Nachhauseweg.
    Das Gewicht der Woche in den Gliedern – lächerlich, denkt er, ich habe doch kaum etwas gemacht –, steigt er in einen Bus und nimmt neben der Tür Platz. Ein paar Haltestellen weiter spürt er den feindseligen Blick einer Frau, als würde ihm eine Taschenlampe ins Gesicht leuchten. Er sucht Blickkontakt in der Hoffnung, dass sie wegschaut, aber stattdessen verzieht sie empört das Gesicht und schüttelt den Kopf.
    »Wollen Sie mir nicht Ihren Platz anbieten? Wie lange muss ich denn noch hier stehen?«
    Schuldbewusst rappelt sich Xavier auf.
    »Tut mir leid, sind Sie … ich hab nicht gesehen, dass Sie …«
    Sie setzt sich auf den jetzt freien Sitz und schüttelt noch einmal den Kopf. Von der Seite sieht Xavier, dass sie tatsächlich schwanger ist, aber es ist nicht besonders auffällig, sicher nicht auffällig genug, um solche Härte ihm gegenüber zu rechtfertigen. Oder doch? Xavier fragt sich, ob er in dieser langen Woche, in der er die Vergangenheit noch einmal durchlebt hat, wohl eine Art Realitätsverlust erlitten hat, zumal er auch nicht richtig schläft. Vielleicht kann er ja wirklich keine Verbindung zu anderen herstellen, vielleicht ist es für alle anderen im Bus offensichtlich, dass er seinen Platz hätte freigeben müssen. Mit hochgezogener Augenbraue sieht er die Fahrgäste an, fragend, aber niemand erwidert seinen Blick.
    Der Vorfall genügt, um ihn an Pippas Schwester zu erinnern, die ebenfalls schwanger ist, was ihn wiederum an Pippa erinnert, weshalb er auf dem Weg die Bayham Road hinab nun doch über die Frage nachgrübelt, die er eigentlich verdrängen wollte: Wird Pippa da gewesen sein? Natürlich ist es recht unwahrscheinlich, sie hatten keinerlei Kontakt. Außerdem hätte sie mittlerweile die Nachricht gelesen und angerufen oder eine SMS geschickt. Und sie hat sicher Besseres zu tun. Aber das Zweifelskörnchen hängt zwischen seinen Zähnen. Vielleicht war sie ja da und hat saubergemacht, fast als eine Art Statement, um ihn zu beschämen oder so. Oder sie ist gekommen, bereit für eine Versöhnung, und hat ebenfalls einen Zettel hinterlassen. Aber andererseits – sein Hirn macht einen Ausfallschritt in die entgegengesetzte Richtung – könnte sie auch gekommen sein in dem Wissen, dass er ihr die Schlüssel hinterlegen würde, und sich in irgendeiner Form gerächt haben, irgendetwas zerstört oder gestohlen haben. Ich meine, ich kenne diese Frau ja kaum, denkt Xavier. Ich habe sie angestellt, geküsst und dann gedemütigt und mehr oder weniger rausgeschmissen. Wenn sie irgendetwas in der Art getan hätte, hätte ich es voll und ganz verdient.
    Aber er glaubt das nicht so recht, und eigentlich glaubt er sowieso nicht, dass sie da war. Und er hat recht: Er sieht sofort, dass die Schlüssel noch genau da liegen, wo er sie hingelegt hat. Und Pippa ist weiß Gott wo, aber nicht hier.
    Erstaunt und entsetzt merkt Xavier, wie sich Tränen in seine Augen schleichen. Aus dem Hinterhalt überfallen, steht er da und weint vielleicht vierzig Sekunden, zum ersten Mal, seit er Melbourne verlassen hat, und versucht prustend, die Flut aufzuhalten. Ein Junge mit einer schlimmen Narbe auf der rechten Wange geht vorbei und sieht ihn mit einer gewissen Neugier an, wie ein seltsames Tier. Xavier, der ihn irgendwoher kennt, zuckt zusammen wie ein ertappter Krimineller und geht schnell nach drinnen, wobei er beschämt merkt, dass Mel mit Jamie auf dem Arm am Fenster steht und ihn besorgt ansieht.
    Im

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