Elfenbann
geglaubt, sie würde ihr Menschenleben einfach so zurücklassen, ohne sich auch nur umzusehen?
»Stimmt«, sagte Tamani. »Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.« Er kam immer näher und legte die rechte Hand neben sie auf das Geländer. Dann legte er mutig seine linke Hand auf ihre und schmiegte die Brust an ihren Rücken.
Natürlich hätte sie ihn abschütteln und weggehen sollen, weil sie sich so viel zu nah waren, aber sie schaffte es nicht. Sie wollte es auch gar nicht. Und ausnahmsweise zwang sie sich nicht dazu. Sie stand still wie eine Statue und spürte ihn und genoss es – seine Nähe erfrischte sie wie die Brise auf ihrer Haut.
Es kam ihr so natürlich vor, dass es ihr gar nicht groß auffiel, als er seine Wange an ihren Nacken legte und das Kinn so neigte, dass seine Lippen ihre Haut berührten. Doch die zarten Küsse auf den Hals bis zum Ohr konnte sie nicht mehr ignorieren, so wenig wie die Hitze, die sie durchströmte. Alles in ihr wollte sich zu ihm umdrehen und ihm erlauben, was er heimlich ersehnte. Vor Verlangen bekam sie kaum noch Luft. Dann lag seine Hand an ihrer Taille, langsam drehte er sie zu sich um. Er küsste sie auf den Mundwinkel und seufzte, ehe er sanft den Mund auf ihren legte.
Laurel riss sich gerade noch am Riemen. »Ich kann nicht«, flüsterte sie.
»Warum nicht?«, fragte Tamani und drückte seine Stirn an ihre.
»Ich kann eben nicht«, antwortete Laurel und drehte sich wieder um.
Doch er nahm ihre Hände und zog sie wieder zurück, um ihr in die Augen zu sehen. »Versteh mich nicht falsch«, sagte er sanft und leise. »Ich tue alles, was du willst. Ich will nur wissen, warum. Warum fühlst du dich so gebunden?«
»Ich habe es mir geschworen. Ich … ich muss mich entscheiden. Und wenn ich mit dir zusammen bin, wenn wir uns küssen, werde ich ganz wirr im Kopf. Ich muss klar denken können.«
»Ich bitte dich gar nicht um eine Entscheidung«, sagte Tamani. »Ich möchte dich nur küssen.« Er glitt mit der Hand an ihren Hals und schmiegte sie an ihre Wange. »Willst du mich küssen?«
Sie nickte kaum wahrnehmbar. »Aber …«
»Dann kannst du das tun«, sagte er. »Und ich werde nicht etwa morgen auf eine Entscheidung drängen. Manchmal«, sagte er und legte einen Finger auf ihre Unterlippe, »ist ein Kuss nur ein Kuss.«
»Ich will dich nicht hinhalten«, sagte Laurel schwächlich.
»Das weiß ich doch. Und ich freue mich darüber. Aber im Augenblick wäre es mir egal, wenn es nichts zu bedeuten hätte. Selbst wenn du mich nie wieder küsst, lass uns das Heute genießen.« Sein Mund war wieder an ihrem Ohr und sein flüsternder Atem wärmte sie.
»Ich will dir nicht wehtun«, sagte Laurel.
»Wie könntest du mir so wehtun?«
»Du weißt genau, was ich meine. Morgen hasst du mich dafür.«
»Ich könnte dich nie hassen.«
»Es ist nicht für die Ewigkeit.«
»Ich bitte dich gar nicht um die Ewigkeit«, sagte Tamani. »Noch nicht. Ich bitte dich um diesen Augenblick.«
Laurel fielen keine Gegenargumente mehr ein. Höchstens noch ganz kleine, die nicht zählten und gar nichts mehr zu sagen hatten, als Tamani seine Hände fest auf ihren Rücken legte und ihre Schultern streichelte – sein Mund nur einen Atemzug entfernt.
Laurel beugte sich vor, bis sie nichts mehr trennte.
Einunddreißig
A uf dem zehnminütigen Spaziergang nach Hause war Laurel bestens gelaunt. Leider ging die gute Stimmung nicht auf ihre Haare über. »Wieso hast du nicht wie jeder normale Junge einen Kamm dabei?«, fragte sie und versuchte, mit den Fingern die zerzauste Frisur zu kämmen.
»Habe ich dir jemals Grund zu der Annahme gegeben, ich wäre ein ›normaler Typ‹?«
»Auch wieder wahr.« Laurel puffte ihn in den Bauch.
Er packte sie, drückte ihr die Arme an die Seiten und wirbelte sie herum, bis sie kreischte. Er war anders als sonst. Entspannt und locker wie sie ihn seit Wochen nicht erlebt hatte – genaugenommen seit dem Nachmittag in dem Häuschen in Orick. Sie machte es sich einfach, wenn sie sich auf sich selbst konzentrierte und vergaß, dass es für Tamani mindestens so anstrengend war wie für sie. Doch heute hatten sie in der langen Stunde, in der sie sich erlaubt hatten, einfach nur sie selbst zu sein, eine Ruhe gefunden, die sie beide dringend nötig hatten. Laurel hätte eigentlich erwartet, dass sie erneut Schuldgefühle empfände, aber davon konnte keine Rede sein.
»Das ist ganz schlecht für meine Haare«, sagte sie und schnappte nach Luft.
»Ich glaube,
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