Elfenglanz
irgendwo.«
»Wo?«, fragte Rowen, als Laurel langsam über die Scherben zum Ausgang ging. Sie schirmte weiterhin den Blick des Mädchens ab und schlüpfte hinter einen kleineren Felsen. Er war zwar echt, doch zu niedrig, um dauerhaft Deckung zu bieten.
»Ich hole ihn gleich«, antwortete Laurel und zwang sich zu einem entspannten Lächeln. »War … war deine Mom bei dir?«, fragte sie behutsam. Rowen nickte und steckte zwei Finger in den Mund. An ihrem traurigen Blick erkannte Laurel, dass sie die Ereignisse bewusst erlebt hatte, selbst wenn sie nicht genau verstand, was passiert war.
»Und was ist mit deinem Dad?«
Rowen schüttelte den Kopf. »Er hat gesagt, er kämpft gegen die Bösen.«
»Ja, das tut er auch«, sagte Laurel und ließ den Blick über das Chaos wandern, um ein besseres Versteck zu finden. Die Festung war mittlerweile eine zunehmend löchrige Illusion, die zerstörte Sommerhäuser inmitten falscher Mauern durchscheinen ließ. Doch es gab noch einige Verstecke, die vielleicht geeignet waren.
»Laurel!«
Noch nie hatte Laurel sich so gefreut, Tamanis Stimme zu hören. Als sie über die Spitze des kleinen Felsens lugte, beobachtete sie, wie Tamani voranging und mit seinem Speer wie mit einem Blindenstock das Terrain prüfte. David, der ihm bei der Suche nach dem richtigen Weg nicht helfen konnte, schwang wuchtig sein Schwert, das Elfen bekanntlich nichts anhaben konnte.
»Tamani! Rowen ist bei mir!«
Tamani kam sofort angelaufen. Er stolperte über etwas, das er nicht sehen konnte und rutschte auf dem Bauch weiter. David war ihm dicht auf den Fersen.
»Pass auf … da ist … irgendwas«, warnte Tamani ihn kläglich und rappelte sich auf.
Als er endlich bei ihnen war, schloss er Laurel und Rowen in die Arme und vergrub das Gesicht in Rowens braunem Schopf. »Der Göttin sei Dank«, flüsterte er.
David sah sich erschöpft um. »Und was machen wir jetzt?«
Tamani nahm das Durcheinander und die Zerstörung seiner Umgebung in sich auf und schüttelte den Kopf. »Wir haben das Viertel nicht einmal zur Hälfte durchquert«, sagte er. »Ich habe die Funkler gehörig unterschätzt. Wenn wir so weitermachen, kommen wir nie im Leben rechtzeitig zur Akademie. Außerdem sind wir hier wenig nütze, fürchte ich.« Er dachte nach. »Ich würde sagen, wir gehen den Weg zurück, den wir gekommen sind. Zurück zum Wald. Dann schleichen wir uns im Schutz der Bäume so nah an die Akademie, wie es geht.«
»Aber hier verändert sich ständig alles«, sagte Laurel. »Woher sollen wir wissen, welcher Weg hinausführt?«
»Da lang«, flüsterte Rowen und zeigte mit ihrem winzigen Finger nach rechts.
Tamani lächelte. »Ich habe mich bisher an der Sonne orientiert, aber jetzt haben wir ja einen Funkler dabei. Ein perfektes visuelles Gedächtnis kann man außer für Illusionen auch für andere Dinge gut gebrauchen.«
Als David und Laurel nickten, hob Tamani seinen Speer und hielt ihn wie einen Stock vor sich – für alle Fälle. »Kannst du Rowen noch tragen?«
Laurel nickte. Das kleine Mädchen wog nicht mehr als ein Kleinkind, was es noch erstaunlicher machte, dass sie den Grundriss der gesamten Sommersiedlung im Kopf hatte. Gehörte das zum Lehrstoff der Sommerelfen oder konnten sie es von Natur aus? Mit Rowens Hilfe fanden sie innerhalb weniger Minuten den Weg wieder, auf dem sie das Sommerviertel betreten hatten, und Laurel freute sich über die Maßen, den mit Lava gefüllten Wassergraben zu sehen. Ohne zu zögern, überquerte sie ihn und sprintete mit Rowen auf dem Arm auf den Waldrand zu. Sie hätte sich nicht im Traum vorstellen können, dass die schönen Vorspiegelungen, die sie am Samhain-Fest gesehen hatte, oder die niedlichen Spielzeughaustiere, die Rowen im letzten Sommer geschaffen hatte, auf eine Weise auftreten könnten, die ihr Lieblingsviertel in diesen furchterregenden Albtraum verwandelte.
Als sie alle nach Luft rangen, nahm Tamani die kleine Elfe in den Arm und hielt sich wie an einem Rettungsanker an ihr fest.
»Hör mir gut zu, Rowen«, sagte Tamani, löste sich von ihr und barg ihr Gesicht in beiden Händen. »Ich weiß, dass du daran gearbeitet hast, deine Erscheinung zu verändern.«
Rowen nickte ernst.
»Hast du dir einen von den Bösen eingeprägt, die heute hier waren?«
Sie nickte wieder.
»Zeigst du ihn mir?«
Einen Augenblick lang zitterte Rowens kleines Kinn. Dann beugte sie den Kopf und wurde vor den Augen ihrer Zuschauer breiter, bis sie zwanzig Mal dicker war,
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