Elfenmeer: Roman (German Edition)
Sie wusste nicht, was mit ihrer Mannschaft, mit ihrem Bruder geschehen war oder was ihnen noch bevorstand. Vermutlichwurden sie wegen Piraterie ertränkt. Vielleicht bevorzugte der Fürst von Riniel es aber auch, die Menschen in die Minen zu schicken.
Arn hatte Nayla noch an Bord an ein paar Rinieler übergeben und war sofort davongeeilt – wohin, das wusste sie nicht. Sie konnte sich auch nicht vorstellen, was Arn so Wichtiges in der Stadt zu tun hatte, sie wollte jedoch auch gar nicht darüber nachdenken. Sie wusste nur, dass sich ihr Verdacht bestätigt hatte und Arn ein Verräter war.
Immer wieder hatte sie versucht, ihm Vernunft beizubringen, doch er hatte nicht mit ihr gesprochen, und seit sie in diesem Verlies war, hatte sie ihn nicht mehr gesehen.
Die Wunden an ihrem Hals kratzten und brannten und gerne hätte sie etwas Wasser darüber gegossen, doch jetzt wäre sie schon mit ein paar Tropfen in ihrer Kehle zufrieden.
»Du siehst durstig aus, Mensch«, sagte der Elf und schwenkte den Schlauch vor ihrem Gesicht hin und her. Nayla hasste ihn. Weniger dafür, dass er ihr das Wasser bestimmt weiterhin vorenthalten würde, als dafür, dass er sie dazu brachte zu betteln. Sie war eine Kapitänin des Korallenfürsten, und dieser Elf machte sie zu einem weinenden Häufchen Elend.
»Bitte«, krächzte sie mit ausgedörrter Kehle. »Bitte. Ich flehe Euch an. Nur einen Schluck. Bitte.«
Der Elf ging vor ihr in die Hocke und hielt ihr den Schlauch an die Lippen. Nayla öffnete erwartungsvoll den Mund, aber nichts geschah. Der Schlauch war leer! Hatte sie nicht das Hin-und-her-Schwappen des Wassers gehört? Hatte sie es nicht riechen können? Wurde sie etwa schon verrückt?
Sie schluchzte bitterlich und verfluchte Arn für seinen Verrat. Hätte Avree nur eher auf sie gehört, hätte er gesehen, welch falsches Spiel sein Sohn trieb, doch Avree hatte sich nurfür sein Feuer interessiert. Jeglichen Problemen ging er aus dem Weg, und Nayla musste dafür büßen, wie schon so oft.
Wenn sie ihn in die Finger kriegte, würde er sein blaues Wunder erleben. Wenn sie ihn nur noch einmal sehen könnte …
Sie war nicht dumm. Sie wusste, dass ihr Tod gewiss war. Der Fürst von Riniel ließ keinen Piraten am Leben, schon gar nicht einen, der gleich noch den Feuerprinzen mit in den Tod nehmen würde. Dies war es, was sie am meisten ängstigte. Der Gedanke an Avrees Ende. Nach so langer Zeit sollte er sterben, nur weil er einen absurden Schwur geleistet hatte. Sie wollte nicht für den Tod eines anderen verantwortlich sein, sie hatte nie solch ein Opfer verlangt. Vielleicht könnte Koralle ihn ja davon überzeugen, nach ihrem Tod weiterzuleben. Doch wenn Nayla ehrlich zu sich war, wusste sie, dass Avree keinen Schwur brechen würde, noch nicht einmal nach ihrem Verrat an ihm. Vielleicht sahen sie sich ja irgendwann wieder. Vielleicht wurde sie wiedergeboren, so wie Elfen, die ihre Bestimmung nicht erfüllt hatten. Oder vielleicht gab es auch für die Seelen von Menschen einen Platz bei den Sternen, und sie könnte Avree eines Tages wiederfinden. Vielleicht verlor sie ihn aber auch für immer.
»Nun, Mensch, dann lass uns mal über den Palast reden.«
Nayla zwang sich, ihre Aufmerksamkeit wieder dem Wächter zuzuwenden. Seit sie hier war, hatte sie kaum eine andere Frage gehört. Natürlich nicht. Hätten die Rinieler nicht etwas aus ihr herausbekommen wollen, wäre sie jetzt schon tot.
»Wir wissen, dass er irgendwo in der Versenkungsbucht liegt. Sag uns, wie wir ihn finden können.«
Nayla hob ihre müden Lider und blickte dem Elfen in die Augen. Er war schön – natürlich, welchen Elfen konnte man nicht schön nennen, doch mittlerweile hatte Nayla gelernt,mehr als die äußere Hülle zu sehen. Und dieser Elf gehörte zu der hässlichen Sorte. Sein Inneres war verdorben, das erkannte sie deutlich in seinen mausgrauen Augen.
»Es ist schneller vorbei, wenn du mir sagst, was ich wissen will.«
Schweigend hielt sie ihren Blick auf ihn gerichtet und wusste gleichzeitig, dass ihr bald Schlimmeres als Hunger, Durst und eine unbequeme Haltung drohte. Der Fürst von Riniel würde nicht aufgeben, ehe er wusste, wie er den Unterwasserpalast erreichen konnte, und Nayla war sich nicht sicher, ob sie stark genug war, die Folter zu ertragen. Ein schneller Tod wäre gnädiger, und doch klammerte sie sich gleichzeitig an jede Sekunde Leben, die ihr noch blieb. Sie musste durchhalten. Vielleicht sandte Koralle ihr einen
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