Elfennacht 01. Die siebte Tochter
Fenster waren geöffnet, sodass man auf den kunstvoll gestalteten Garten hinaussehen konnte. Es dämmerte und man hatte an den Wegen Fackeln entzündet, die ihren sanften Schein auf den Steinboden warfen. Der Raum wurde beherrscht von einer langen Tafel aus dunklem Holz, auf die die Diener Schüsseln, Schalen und Teller stellten. Beim Anblick der köstlichen Spiesen lief Tania das Wasser im Mund zusammen.
Es roch nach Braten, Pasteten, in Butter geschwenktem Gemüse und nach frisch gebackenem Brot.
Der König saß am Kopfende der Tafel. Um ihn herum waren die meisten von Tanias Schwestern platziert sowie einige Lords und Ladys, die Tania zum Teil wiedererkannte. Gabriel saß zur Rechten des Königs.
Bei Tanias Eintreten erhoben sich Oberon und die anderen Männer.
»Komm, setz dich zu mir, Tania«, sagte der König. »Hast du dich von deinem Sturz erholt?«
»Ja, mir geht es schon viel besser, danke«, antwortete Tania und bahnte sich ihren Weg um den Tisch herum.
Als sie an Zara vorbeikam, warf diese ihr einen besorgten Blick zu und ergriff ihre Hand. Tania drückte sie.
»Mir geht es gut, wirklich«, sagte sie. Sie beugte sich dichter zu ihrer Schwester. »Meine Wandteppiche sind lebendig geworden«, flüsterte sie.
Zaras Augen leuchteten auf. »Das sind fabelhafte Neuigkeiten«, sagte sie. »Ich freue mich so.«
»Ja, ich mich auch.« Tania sah durch den Raum hinweg zu Hopie hinüber und formte stumm mit den Lippen die Worte: »Vielen Dank.«
Hopie nickte ernst.
Rathina beugte sich zu ihr. »Ich habe Maddalena heute Nachmittag über schulterhohe Hürden springen lassen und kam niemals auch nur in die Gefahr zu stürzen«, sagte sie. »Ich bin froh, dass du dir nichts getan has t – du musst besser auf dich aufpassen.«
»Ich glaube, der Sturz hatte seinen Sinn«, sagte Tania und breitete eine gestärkte Stoffserviette auf ihrem Schoß aus.
Als sie Gabriels besorgten Blick bemerkte, lächelte sie ihn an, worauf sich seine Miene aufhellte.
Die Stimme des Königs schallte über die Tafel hinweg. »Ich bitte um Eure Aufmerksamkeit, meine Freunde.« Alle wandten die Köpfe. »Verehrte Gäste und weise Berater, meine geliebten Töchter, wir sind hier zu einem Abschiedsmahl versammelt. Morgen früh werde ich zu einer Zusammenkunft mit den Lords der weit entfernten Grafschaften meines Reichs aufbrechen.«
»Du verlässt uns?«, fragte Tania überrascht. Sie hatte darauf gehofft, ihn besser kennenlernen zu könne n … vor allem, da er wohl wirklich ihr Vater war.
Er legte ihr seine Hand auf die Wange. »Es muss sein, meine liebste Tochter. Schon viel zu lange habe ich meine Pflichten vernachlässigt. Ich muss mich um mein Reich kümmern. Ich gehe, um die Lords von Talebolion und Dinsel und die aus dem fernen Prydein und dem gebirgigen Minith Bannawg zu treffen. Ich habe sie für übermorgen auf Burg Ravensare bestellt, und das ist ein langer Ritt und ein beschwerlicher Marsch für Männer und Pferde. Ich werde ein Gefolge von fünfzig Höflingen mitnehmen. Und wie es am Hof Brauch ist, werde ich meine älteste Tochter Eden in meiner Abwesenheit als Regentin einsetzen.« Stirnrunzelnd blickte er sich um und fuhr dann etwas leiser fort. »Aber sie hat sich geweigert, ihre lang währende Klausur aufzugeben, und so habe ich den edlen Lord Drake mit den höfischen Aufgaben betraut.« Er nickte Gabriel zu. »Er war mir stets treu ergeben und genießt mein volles Vetrauen.«
Tania blickte zu Gabriel, der keine Miene verzog, doch seine silbriggrauen Augen funkelten.
»Und nun, liebe Freund e – lasst uns speisen!«, verkündete der König. »Ich breche am Morgen auf!«
Tania ließ den Blick über die Tafel schweifen, die über und über mit Speisen beladen war: Geflügel und gebratenes Fleisch, pikante Pasteten, Terrinen mit Suppe und Eintopf, Schalen mit Gemüse und Körbe mit warmen Brot.
Als Tania die Gedecke auf dem Tisch musterte, bemerkte sie, dass ihr Messer aus einem Knochengriff bestand, an dem eine fein gearbeitete Klinge aus scharfem grauem Stein angebracht war. Ihre Gabel war ebenfalls aus Stein. Anita schaute sich um: Alle Teller, Schüsseln und Schalen bestanden entweder aus Holz oder Porzellan.
»Warum habt ihr denn gar kein Metall?«, flüsterte sie Sancha neben sich zu.
Ihre Schwester sah sie verwirrt an. »Das Wort kenne ich nicht«, sagte sie. »Was ist Metall?«
»Eisen und Stahl«, erklärte Tania ihr. »Gold, Silber, Blei, Zin n – es gibt tausend verschiedene Arten. Zu Hause sind
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