Elfenschwestern
hohen Regalen, aber Kate hatte auch seltsame Instrumente herumliegen, die an Laborausstattung erinnerten, und lauter Aktenordner, die den Raum nach einem Büro aussehen ließen. Bei T. W. Webber war das anders, hier schien es außer seinem Computer nichts Modernes zu geben. Sein schwerer Schreibtischstuhl hätte auch ins Herrenzimmer eines Landsitzes gepasst, viele der Bücher in den Regalen hatten Lederrücken und Goldschnitt, die gerahmten Landkarten an den Wänden waren vergilbt und offensichtlich handgezeichnet. Direkt neben der Tür, mit Blick auf den mit Papieren übersäten breiten Schreibtisch und das hohe Fenster dahinter, stand ein kleines grünes Plüschsofa. Dort bedeutete Webber den Schwestern, Platz zu nehmen.
„Soll ich uns einen Tee machen?“, fragte er und wandte sich halb zur Tür.
„Ja, bitte“, sagte Rose.
„Nein, danke“, sagte Lily.
Webber verharrte mit der Hand auf der Klinke.
„Wir haben es etwas eilig“, erklärte Lily und ignorierte das Seufzen ihrer Schwester. „Oder, Rose? Man könnte sagen, unser Anliegen ist durchaus dringlich.“
„Wo ist Gray?“, fragte Rose. „Das wollen wir wissen.“
Lily stieß ihr einen Ellenbogen in die Rippen.
Webber aber hob nicht einmal eine Braue. Er ließ sich in den Lehnstuhl ihnen gegenüber sinken.
„Als Sie unsere Mutter und mich gestern ins Taxi setzten“, begann Lily vorsichtig, „sagten Sie doch, wir würden uns heute unterhalten.“
Ein kleines zufriedenes Lächeln spielte um T. W. Webbers Mundwinkel. „Richtig.“
Lily wartete atemlos.
Rose nicht. Sie machte eine auffordernde Handbewegung. „Also?“
Webber beugte sich vor, stützte die Ellenbogen auf seine Beine und faltete die Hände. „Das wird etwas schwierig, deshalb bitte ich euch um Geduld, ja?“
Die Mädchen nickten verblüfft.
„Danke. Gut, also angenommen, ihr wärt Mitglied einer geheimen Gesellschaft, die eine ehrenvolle und bedeutsame Aufgabe übernommen hat. Ihr habt einen Eid geschworen, der euch unter anderem zu äußerster Geheimhaltung verpflichtet. Wenn ihr aber nun der festen Überzeugung wärt, die Gesellschaft habe einen Irrweg eingeschlagen, einen Irrweg mit verheerenden Konsequenzen, wie ich hinzufügen muss, und wenn ihr weiter glaubtet, der einzige Ausweg beinhalte die Aufgabe der Geheimhaltung, dann stündet ihr vor einem moralischen Dilemma. Meint ihr nicht?“ Er lehnte sich zurück. „Nun, ich bin dieser Ansicht. Doch da ich Dozent für Geschichte bin, kann es mir wohl niemand verübeln, wenn ich euch heute etwas über die Vergangenheit unseres Landes erzähle. Oder was würdet ihr sagen?“
Rose grinste. „Schießen Sie los.“
Lily hatte vor Aufregung kalte Hände.
Webber nickte. „Was wisst ihr über die Rosenkriege?“
Die Schwestern wechselten einen Blick.
„Oder über die Tudors?“
„Der eine Tudorkönig brachte seine ganzen Frauen um“, sagte Rose.
„Zwei von sechs genau. Von zwei weiteren ließ er sich scheiden. Das war Henry VIII . Mir geht es um seinen Vater, Henry VII . Ihm sagt man nach, 1485 die Rosenkriege beendet zu haben.“
Rose rollte mit den Augen. „Das ist doch Ewigkeiten her. Haben Sie uns nicht etwas Aktuelleres zu erzählen? Etwas, das mit Gray zu tun hat? Oder wollen Sie uns hier einfach nur ein bisschen Unterricht erteilen?“
„Rose!“
Aber Webber lächelte. „Ich bitte um Verzeihung“, sagte er. „Das Lehren wird schnell zur zweiten Natur. Eigentlich wollte ich nur herausfinden, wo ich ansetzen soll mit meiner Erzählung.“
„Am Anfang?“, schlug Rose bissig vor.
Lily warf ihrer Schwester einen bösen Blick zu.
Doch Webber ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Die Geschichte, liebe Wild Rose, kennt keinen Anfang. Die Ereignisse fließen ineinander. Alles, was passiert, passiert aus irgendwelchen Gründen. Wenn ihr also verstehen wollt, wieso die Fey euren Bruder geraubt haben, müsst ihr verstehen, was diese Fey antreibt. Ich wollte nicht sagen, dass sie keine andere Wahl hatten. Natürlich hatten sie die. Und sie haben sie noch. Das dürfen wir nicht vergessen.“
Beide Schwestern saßen jetzt stocksteif und mucksmäuschenstill.
Webber legte die Finger aneinander und richtete den Blick in die Weite. „Die Geschichte beginnt mit zwei Familien, die um den englischen Thron kämpften. Zwei Häuser, gleich an Würdigkeit. “
„Two houses both alike in dignity“ , murmelte Rose. „Shakespeare. Romeo und Julia.“
„Rose liebt Shakespeare“, erklärte Lily. „Sie
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