Elfenschwestern
wollten uns unauffällig verhalten und den Yorks nicht direkt an die Gurgel gehen, aber ist Flirten nicht etwas übertrieben? Ich dachte ja mehr an eisige Höflichkeit. Dem Duke fällt eisig sein bestimmt nicht schwer. Er ist schrecklich, findest du nicht?“
Rose zuckte die Achseln. „Er ist sehr von sich eingenommen“, sagte sie wegwerfend. „Solchen Menschen passieren leicht Fehler. Das könnte gut für uns sein.“
Rose kehrte zu dem Gepäckstapel zurück, packte Kates großen, uralten Yves-Saint-Laurent-Koffer und zog ihn quer übers Parkett ein Zimmer weiter. „Ich nehme das hier drüben“, rief sie über die Schulter. „Oder willst du unbedingt in dem Himmelbett schlafen? Sag bitte Nein.“
Lily musste lachen und fühlte sich gleich besser. „Nein“, sagte sie. „Leb du ruhig deine Prinzessinnenträume aus.“
Rose rumorte nebenan. „Wow“, machte sie. „Das sind vielleicht Schränke. Da passen sogar unsere Ballkleider rein.“
Grinsend schnappte sich Lily ihre Umhängetasche und kletterte damit auf ihr eigenes Bett, ein auf Hochglanz poliertes, antikes Stück mit einem weit ausladenden Kopfteil, von dem pausbäckige Barockputten herablächelten. Lily lächelte zurück, ließ sich in die weichen Kissen sinken und holte ihr Mobiltelefon hervor.
Eine Nachricht von Jolyon. Lilys Herz machte einen Satz. Das ist anatomisch unmöglich, dachte Lily. Aber genau so hat es sich angefühlt!
„Es schneit“ , schrieb Jolyon. „Und ich muss an dich denken, Tigermädchen. Gut, eigentlich denke ich sowieso ständig an dich.“ Lily konnte nicht verhindern, dass sich ihr Mund zu einem breiten Lächeln verzog, als sie das las.
„Seid ihr schon angekommen?“ , fragte Jolyon weiter. „Alles klar?“
„Alles okay“ , tippte Lily zurück. „Der Duke ist gruselig. Und sein Sohn ist der Fey aus der Bibliothek. Schräg, oder?“
Rose erschien im Rahmen der fast deckenhohen Doppeltür, die ihre Zimmer verband. Sie hatte ihr Schulmädchen-Ensemble gegen einen engen weißen Rollkragenpullover und schmale Hosen getauscht und die Haare in einem hoch angesetzten Pferdeschwanz zurückgebunden. Sie sah sehr schön aus, fand Lily. Auf eine erwachsene, unangestrengte Weise.
„Auch wenn das hier York-Besitz ist“, sagte Rose, „muss ich zugeben: Alle Achtung.“
„Stimmt.“ Von ihrem hohen Platz in den weichen Kissen des Barockbettes aus konnte Lily nicht nur das lang gestreckte Zimmer mit den rauchblau tapezierten Wänden, der weiß-goldenen Decke und der lichten Fensterfront bewundern. Sie konnte auch aus diesen Fenstern hinaus in den winterweißen Park schauen. Dahinter begannen Englefields Wälder. Lily seufzte sehnsüchtig. Ach, wenn sie das alles doch einfach hätte genießen dürfen. Den Palast, den Ball, die neu gefundene Verwandtschaft. Aber sie waren ja nicht zum Vergnügen hier. Sie waren auf der Suche nach ihrem verlorenen kleinen Bruder. Gray!
Lily setzte sich abrupt auf. „Was machen wir jetzt?“, fragte sie ihre Schwester.
„Wir folgen dem Plan“, antwortete Rose, die gerade ihre gemeinsame Schuhtasche öffnete. „Was sonst?“
„Wir spionieren?“
Rose nickte. „Beim Duke. Und da es wohl kaum ein Zufall sein kann, dass sein Sohn in London war, auch beim Earl.“ Sie grinste wieder, als sie von dem jungen Fey sprach. Jetzt fiel es Lily auf.
„Er gefällt dir!“, rief sie.
„Dir etwa nicht?“
Lily dachte an dunkles statt an blondes Haar, an stahlblaue statt tiefschwarze Augen und musste lächeln. „Ein bisschen vielleicht“, sagte sie.
Rose schnaubte, während sie ein Paar rotbrauner Stiefeletten aus der Tasche angelte. „Du hegst gerade schmachtende Gedanken an deinen Collegeboy“, beschuldigte sie Lily.
„Hm“, machte die.
Rose rollte die Augen. „Pass bloß auf, dass du nicht so ein peinlich verknallter Teenager wirst.“
„Werde ich sicher nicht“, protestierte Lily und wurde ein bisschen rot, weil ihr einfiel, wie sie noch vor wenigen Minuten selig ihr Handy angegrinst hatte.
„Abwarten“, unkte Rose. „So, ich gehe jetzt die Tanten einsammeln.“ Sie stieg in ihre rechte Stiefelette.
„Ist es okay, wenn ich später nachkomme und vorher noch auspacke?“, fragte Lily.
„Ja, wenn du es sorgfältig machst.“ Rose zog den linken Schuh an.
Lily lachte. Obwohl Rose im Haushalt keinen Finger rührte, sich in der Spüle stapelndes Geschirr stets ignorierte und Wollmäuse grundsätzlich nicht wahrnahm, war sie das ordentlichste Mitglied der Familie
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