Elfenschwestern
„Kommst du nun mit?“
Lily verschränkte fest die Hände hinter ihrem Rücken, damit er nicht sah, dass sie bebten. „Nein, danke.“
„Nein?“ Er trat noch einen Schritt näher. „Erstaunlich. Ich glaube nicht, dass schon mal eine junge Dame so ein Angebot abgelehnt hat.“
„Du fragst allen Ernstes Mädchen, ob sie mit dir jagen gehen?“, platzte Lily heraus. „Öfter?“
Er legte den Kopf schief, als müsse er über ihre Frage nachdenken. „Nicht ganz. Ich frage meistens, ob sie mit mir ausreiten möchten. Das verstehen sie besser. Denn das Jagen liegt den wenigsten im Blut.“ Er sah sie mit einem Blick an, der voller Bedeutung war.
Lily wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. „Was jagst du denn?“, stotterte sie.
Er zeigte in einem breiten Grinsen sein Gebiss, stark und mit kräftigen Eckzähnen. „Oh, da gibt es so viel“, sagte er leichthin. „Denkst du an Wild? Das muss nicht sein. Du kannst zum Beispiel dem Wind hinterherjagen oder der Sonne entgegen. Das tue ich besonders gern. Allerdings habe ich manchmal tatsächlich eine Beute im Auge.“ Er ließ seinen Blick einmal von Kopf bis Fuß über sie wandern, bevor er ihr wieder in die Augen sah.
Lily beschloss, seine Andeutungen mit Klartext zu bekämpfen. „Ich finde“, sagte sie scharf, „du musst dich schon entscheiden, ob ich jetzt Jägerin oder Beute sein soll.“
Er kräuselte wieder seine Mundwinkel in diesem fast heimlichen Lächeln, das, Lily musste es zugeben, äußerst attraktiv war.
„Hm“, machte Alistair. „Geht denn nicht beides?“
Darauf fiel Lily so schnell keine Entgegnung ein.
Alistair drehte sich zum Fenster. „Schau, meine Hübsche, das Licht ist perfekt. Noch eine halbe Stunde und es vergoldet die Welt. Gib dir einen Ruck. Du würdest doch sicher gern durch den Schnee galoppieren, wenn er im Abendrot leuchtet, oder?“
„Nein“, behauptete Lily. Es machte ihr Angst, dass sie log. Es machte ihr Angst, dass sie schon hatte mit dabei sein wollen, als sie Alistairs wilde Jagd nur aus der Ferne gesehen hatte. Sie durfte der Fey in sich jetzt nicht die Kontrolle überlassen! Sie war eine Lancaster. Und er war ein York. Daran sollte sie denken. „Nein“, wiederholte sie entschieden, „ich will nicht.“
Er lachte, als hätte sie etwas äußerst Vergnügliches zum Besten gegeben. „Du lügst ja!“, rief er erheitert. „Ich finde, du könntest ruhig ein bisschen netter zu mir sein. Schließlich bist du mein Gast.“
„Und ich finde, du müsstest netter sein“, konterte Lily. „Heißt es nicht, der Gast ist König?“
„Interessante Wortwahl“, murmelte er, „angesichts der Umstände.“
Lily stockte der Atem. „Welcher Umstände?“, stieß sie hervor.
Alistair trat so nah an sie heran, dass Lily den Kopf ein wenig in den Nacken legen musste, wenn sie ihm in die Augen sehen wollte. Er hatte nicht Jolyons breite Schultern, war jedoch mindestens ebenso hochgewachsen.
„Hör zu, meine Hübsche“, sagte er mit dieser Stimme, die Lily in jener Nacht in London an die Kühle eines Herbstmorgens erinnert hatte, die jetzt aber zusätzlich das verlockende Versprechen von wärmendem Sonnenschein auf bloßer Haut in sich trug. „Ich schlage dir ein Geschäft vor: Für jede Frage, die du mir beantwortest, beantworte ich dir auch eine. Was sagst du?“
Lily schluckte. Ungefähr so musste es sich anfühlen, sich mit dem Teufel auf einen Pakt einzulassen. Wenn man sich den Teufel groß und gut aussehend vorstellte. Und mit einem charmanten Lächeln ausgestattet.
Sie hob entschlossen das Kinn. „Okay“, sagte sie. „Deal.“
„Deal“, wiederholte er. „Ich fange an. Hand aufs Herz“, er legte die langen Finger seiner Rechten auf seine Brust. „Du bist doch nicht nur hier, um auf einem Ball zu tanzen.“
Lily schluckte einmal schwer. „War das die Frage?“
Er schüttelte langsam den Kopf. „Nein, ich weiß ja, dass ich Recht habe. Ich will wissen: Warum bist du hier?“
„Ich …“, Lily stockte. Ihre Gedanken rasten. Durfte sie sich verraten? Sich, Rose und die Tanten? Vielleicht, wenn sie vorsichtig antwortete? Was, wenn sie hier und jetzt wirklich etwas erfahren könnte?
„Ich helfe dir gern“, sagte Alistair sanft. „Ich kann dir ein paar Möglichkeiten zur Auswahl geben. Lass mal sehen, warum bist du hier … Du hattest Sehnsucht nach mir?“
„Nein!“, rief Lily empört.
Er lachte. „Schade. Dabei habe ich so oft an dich gedacht.“
Das war doch sicherlich nicht
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