Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin - Paradigi, J: Elfenzeit 10: Fluch der Blutgräfin
zumindest eine Zukunft. Was hatte er genau genommen zu verlieren? Ohne Heilmittel blieben ihm nur wenige Monate, maximal ein oder zwei Jahre.
Der Rest war angekratzter Stolz. Er war in seinem Leben bisher niemandem begegnet, der ihm nachhaltig Angst machen konnte. Darby allerdings war tief in seinem Inneren verdorben. Etwas hatte jeglichen Skrupel in diesem Wesen ausgelöscht, auch wenn O’Gill es durch Schmeichelei und seine guten Manieren zu verschleiern wusste.
Darin mochten sie sich gleichen. Nur, dass der Elf mit seinen Fähigkeiten hundertfach mehr Schaden anrichten konnte. Wenn Tanner davon profitieren wollte, musste er Darby auf seine Seite ziehen, ihn für sich gewinnen und abhängig machen. Jeder hatte irgendeine Schwachstelle, ein Laster, eine verborgene Sehnsucht. Er brauchte nur noch etwas mehr Zeit, um Darby kennenzulernen.
Tanner sah jetzt klar, dass er sich zu sehr von den magischen Aspekten beeindrucken ließ und dabei seine üblichen Stärken aus den Augen verlor: beobachten, analysieren und sezieren. Ab jetzt würde er jede Bewegung des Elfen mit Argusaugen verfolgen, zwischen den Zeilen lesen und hören, was er unausgesprochen ließ. So hatte er noch jeden zu packen bekommen, ob Bösewicht und Wohltäter.
Als die Deckplatte des Sargs nachgab, erklang ein lautes Knirschen, und schwarzes Pulver rieselte zu Boden. Jarosh schrie auf, taumelte rückwärts und suchte hinter dem Elfen Schutz. Tanner dagegen blieb gefasst. Sein Blick ruhte weiterhin auf der dunkel gebeizten Holzkiste. Einen Lidschlag lang glaubte er, die eingeritzten Symbole aufglimmen zu sehen. Doch der große Knalleffekt blieb aus. Stattdessen stiegen ganz allmählich Nebelschleier aus dem Inneren, strömten in sanften Wellen zu Boden und bildeten bald einen handspannenhohen Teppich. Neugierig trat Tanner an den Sarg heran und wagte einen Blick hinein.
Da lag sie, Elisabeth Báthory, so unberührt wie ein Schneewittchen. Ihre Haut im Gesicht, auf dem Dekolleté und an den über der Brust gekreuzten Händen war weiß – fast durchsichtig. Die Haare lagen in kunstvoll geflochtenen Zöpfen über den Schultern. Mit Gold- und Silberfäden durchwirkter Brokatstoff schmückte ihren wohlgerundeten Körper und die zierlichen Füße und verlieh der gefallenen Gräfin im Tod die Würde einer Königin.
Tanner ertappte sich bei dem Verlangen, ihr über die Wange zu streichen. Er konnte nachvollziehen, warum dieser Herrscherin so viele ins Verderben gefolgt waren – Männer ebenso wie Frauen. Tatsächlich wussten nur wenige über die zumeist blutrünstigen Legenden hinaus, dass Elisabeth in jungen Jahren die Männer reihenweise in Versuchung geführt hatte. Eine seltsame – geradezu freudsche – Trotzreaktion.
Denn als Kind, auf der Schwelle zum Erwachsenwerden, hatte Elisabeth einen räuberischen Überfall nur knapp überlebt und von einem Baum aus mit ansehen müssen, wie ihre Geschwister brutal geschändet und anschließend getötet worden waren. Viele der eingefleischteren Historienkenner vermuteten daher, neben der inzestuösen Familiengeschichte, genau in diesem Trauma den Grund für ihre spätere Bestialität. Auch Tanner.
Ihr Ehemann Ferenc Nadasdy hatte ihr bis zu einem gewissen Grad Halt gegeben, ihre sadistischen Triebe sogar geteilt und in privatem Rahmen mit ihr ausgelebt. Doch nachdem Nadasdy 1604 im Kampf gefallen war, war Elisabeth innerlich gestorben. Von da an hatte sie sich über jede Grenze hinweggesetzt – gesellschaftlich wie moralisch –, als wollte sie Gott selbst ins Gesicht spucken.
»Was ist, möchten Sie sie lieber so mit nach Hause nehmen?«, unterbrach Darby rüde Tanners Gedanken. »Es wäre besser für Sie, jetzt zurückzutreten.« Mit diesen Worten schob der Elf ihn grob beiseite, beugte sich über das Antlitz der Toten und flüsterte: »Es ist Zeit aufzuwachen, Madame.«
In Tanner kochte der Zorn immer höher.
Was für ein arroganter Affe!
Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete er, wie Darby sich noch ein Stückchen weiter vorbeugte und seinen Mund öffnete. Wieder erklang diese liebliche Melodie, doch diesmal hielt der Elf seine Hände still. Die Luft zwischen seinen und ihren Lippen begann zu flirren wie unter einer sengenden Sonne. Es entwickelte sich ein Strom von ihm zur Gräfin, und ganz allmählich wölbte sich ihm ihr Brustkorb entgegen, als würde sie einatmen.
»Der Elfische will ihr ein Stück seiner Lebenskraft schenken«, raunte Jarosh voller Ehrfurcht und mahlte hörbar angespannt
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