Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes - Thurner, M: Elfenzeit 2: Königin des Schattenlandes
sprach »mit Engelszungen« zu ihnen, wie sein verräterisches Zureden in manchen Kulturkreisen der Menschen genannt wurde. Gofannon plante und er mordete. Oder er plante und schickte andere vor, die die Drecksarbeit für ihn ausführten. Es war einerlei, nach welcher Methode er vorging. Stets endete sein Ausflug ins Reich der Menschen mit seinem Tod. Manchmal geschah er selbst gewählt, manchmal hauchte er sein Leben in den Händen eines wütenden Mobs aus. Nur selten stand er vor einem Gericht, um rechtmäßig zum Tode verurteilt zu werden.
Gofannon lernte von den Menschen. Er begann ihre Heimlist und Tücke zu verstehen und machte sie sich zu eigen. Viele Jahrhunderte verbrachte er auf der Erde, in stets neuen Rollen. Keine Facette an Niederträchtigkeit oder Heimtücke konnte ihn mehr erschüttern.
Manche Menschen begannen ihn zu fürchten, sobald sie seiner ansichtig wurden. Sie schienen zu spüren, dass er etwas Besonderes darstellte. Dass er keiner der Ihren war, sondern ein Grenzgänger zwischen Leben und Tod. Jemand, der beides vertrat und beides voller Inbrunst verachtete. Weltweit entstanden Kultstätten, die ihn ehrten. Man gab ihm Namen. Er hieß Judas – und hatte tatsächlich die Rolle eines Mannes dieses Namens in einer unbedeutenden römischen Provinz erfüllt; eine eher mindere Rolle, wie er meinte –, oder Loki oder Wayob oder Beelzebub. Er war chinesischer Kriegsherr, aztekischer Hohepriester, englischer Adliger, russischer Bolschewik. Er wurde gefürchtet und gehasst; dennoch fanden sich immer wieder Menschen, die ihm göttliche Attribute zusprachen und sein Interesse zu erheischen versuchten.
Stets kehrte er nach dem körperlichen Tod seines Wirtspartners mit neuen Informationen in die Schattenwelt zurück. Die Königin schenkte ihm ihr Wohlwollen, wenn er von einer neu entdeckten Kraftlinie berichtete, die er irgendwo aufgespürt hatte. Manchmal widmete sie ihm, ihm ganz allein, sogar ein Lächeln. Gofannon labte sich an diesen seltenen Augenblicken ihres Interesses und zog weiterführende Lebenslust daraus. Diese Momente ließen ihn die Schmerzen vergessen und sogar die Streiche ertragen, die ihm der Kau und Cor antaten. Das königliche Lächeln überdeckte selbst die Präsenz des Getreuen, der sich oft genug in der Nähe Bandorchus aufhielt.
»Kommst du nicht durcheinander bei all den vielen Rollen, die du spielst, und bei den Mordplänen, die du schmiedest?«, fragte der Kau eines Tages und kicherte verrückt. »Gehen dir niemals die Ideen aus? – Ich habe zwar auch meine Spuren auf der Menschenwelt hinterlassen; denke jedoch, dass man mich nach einiger Zeit vergessen haben wird.« Er vollführte einen Handstand auf einer Hand und urinierte mit der anderen in eine Ecke ihres gemeinsamen Wohnverschlags, den sie selten genug gemeinsam nutzten. Die Zeit, da sie sich aneinandergebunden fühlten, war durch die Erfüllung von Fanmórs Fluch auf ein Minimum reduziert. »Vielleicht mit einer Ausnahme«, fuhr der Kau fort, nachdem er ausreichend Wasser gelassen hatte. »In einem kleinen Inselreich hab ich’s mit dem Schabernack vielleicht ein bisschen übertrieben. Aber das ist lange her ...«
Gofannon ließ ihn reden. Die vielen Rollen, die er gespielt hatte, drängten hoch. Wie Regentropfen waren sie, die in eine riesige Sammeltonne hinabplatschten. Aus den Tropfen wurde ein See und aus dem See ein Ozean aus Erinnerungen. Details vermengten sich und bildeten ein Ganzes, aus dem es immer schwerer wurde, die passenden Erinnerungsstränge herauszufiltern. Zumal er das Gefühl hatte, aus einem normalen Zeitenverlauf herausgedrängt worden zu sein. Das Portal der Königin transportierte ihn in verschiedenste Menschheitsepochen, ohne dass er irgendeinen Einfluss darauf nehmen konnte. Vergangenheit, Zukunft, Gegenwart – Begriffe, die in Anderswelt und Schattenwelt ohnedies ohne Bedeutung waren, verloren auch im Reich der Menschen ihre Gültigkeit.
Mehrmals schlüpfte er in die Rolle eines Mitglieds des Geschlechts der Borgias. Manchmal gelang es ihm, seine Aufgabe zu erfüllen, manchmal nicht.
In der Rolle eines gewissen Friedrich Stapß führte er in Wien ein Attentat auf den französischen Kaiser Napoleon aus und scheiterte kläglich.
Er war Johann Jacob Anckarström, der Gustav den Dritten von Schweden mit einem Pistolenschuss in den Rücken tötete. Die Auspeitschung, die sich über drei Tage hinzog, genoss er. Er zögerte den Moment, da er zu Bandorchu zurückkehrte, so lange wie
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