Elfenzeit 5: Schatten des Totenreiches - Schartz, S: Elfenzeit 5: Schatten des Totenreiches
heraus, mit einer großen Papiertüte im Arm, aus der es verführerisch duftete. In der anderen Hand hielt sie eine Butterbrezel, an der sie hingebungsvoll knabberte.
Darby folgte ihr zu ihrer Haustür; er wusste, es würde sich gleich eine Gelegenheit ergeben ... und da war sie auch schon: Nadja balancierte die Brezel auf der Tüte, um den Schlüssel aus der Jeanstasche herauszufummeln. Sie hüpfte dabei von einem Bein auf das andere und war so beschäftigt, das Gleichgewicht zu halten, die Brezel nicht herunterzuwerfen und den Schlüssel nicht zu verlieren, dass sie nichts um sich herum bemerkte.
Der Schotte brauchte nur zwei Sekunden. Er verließ die Deckung und warf nach kurzem Zielen das Fliegenauge, nur um sich augenblicklich wieder zurückzuziehen. Zufrieden beobachtete er, wie das Fliegenauge sich an Nadjas Schulter heftete und dann weisungsgemäß weiter hinaufkrabbelte, um sich am Blusenkragen zu verstecken. Es hatte Darby viel Zeit und Mühe gekostet, die Fliegenaugen zu züchten und zu dressieren. Bis zu ihrem Einsatz bewahrte er sie stets in einer kleinen Schachtel auf, wo sie Jahrtausende in magischer Starre überstehen konnten. Die winzigen Wesen waren nicht mehr als ein Auge auf Beinen und übermittelten ihrem Herrn, was sie sahen. Waren sie erst einmal aktiv, währte ihre Lebensdauer nicht lange; schon nach zwei Stunden war es vorbei, und zurück blieb nichts als ein ausgetrockneter, kleiner schwarzer Dreckkrümel. Aber zwei Stunden reichten vollkommen aus.
Der Schotte zog sich auf eine Bank in der Mitte des Platzes zurück; einige Fußgänger betrachteten ihn mit seltsamen Blicken, weil das winterliche Wetter nicht gerade zum Verweilen einlud, doch er bekam es nur noch am Rande mit.
Bsss-sss
, dachte er und schloss die Augen.
Hörst du mich, Auge?
Seine Geistfinger tasteten den magischen Faden entlang, den das Fliegenauge auf dem Weg zurückgelassen hatte.
Ssssaaajaaa
...
Plötzlich wurde es hell vor seinen Lidern, und es war fast, als blicke er durch Nadjas Augen. Er sah alles aus ihrer Perspektive. Das Bild, das er durch das gesplitterte Insektenauge zu sehen bekam, war ein wenig ungewohnt, doch er gewöhnte sich schnell daran, die Facetten zusammenzusetzen. Soeben öffnete Nadja die Tür zu ihrer Wohnung, und Darby erhaschte einen kurzen Blick auf sie, als sie am Garderobenspiegel vorbeikam, die Jacke auszog und aufhängte. Nadja hielt sich nicht mit ihrem Spiegelbild auf. Sie schien sich nicht dafür zu interessieren, wie ihre Haare nach dem Abnehmen der Mütze aussahen.
Nachdem sie sich umgewandt hatte, erblickte Darby helle Räume, Parkettboden, wenig Möbel und wenige Bilder. Er war überrascht und hätte sich etwas Verspielteres vorgestellt. Auf dem Weg in die Küche sah er das Durcheinander an Klamotten, Gläsern, Büchern, CDs und Schokoladepapier im Wohnzimmer und war erleichtert. Nadja
lebte
doch hier, sie hielt sich nicht nur zwischendurch auf.
Und sie hatte immer noch einen gesunden Appetit. Sie vertilgte ein opulentes Frühstück, dann ging sie ins Wohnzimmer zum Arbeitstisch, wo sie sich eine Weile am Laptop mit Mails und der Suche nach »Anne Lanschie« beschäftigte.
Anne Lanschie? Darby grübelte nach. Der Name sagte ihm nichts. Und dem Internet auch nicht, wie sich herausstellte. Anne Lansky, Anne Lanski und so weiter, aber keine Lanschie. Warum suchte Nadja wohl nach ihr? Schließlich griff sie zum Telefon. Darby ließ das Fliegenauge auf den Schreibtisch schauen und sah einen Zettel, auf dem ein Name stand: Nicholas Abe, dazu eine Telefonnummer und, wie überaus ordentlich, auch die Straße. Die Notiz lag ganz oben auf dem Stapel, gleich neben dem Computer, also musste sie aktuell wichtig sein.
In diesem magischen Zustand konnte Darby sich selbst nichts notieren, deshalb prägte er sich die Adresse genau ein. Nadja telefonierte kurz und schrieb dann auf den Zettel mit Abes Namen:
Morgen elf Uhr
.
Welche Verbindung bestand wohl zu diesem Mann? Hing er mit Anne Lanschie zusammen? Darby musste eingreifen, nur so konnte er Nadja schützen. Bisher war es die beste Fährte.
Der Schotte beobachtete die junge Frau bis zum Ende der Lebenszeit des Fliegenauges, sie bemerkte den winzigen Krümel an ihrem Kragen nicht. Als es vorbei war, ging er in ein Internetcafé und machte sich über Nicholas Abe kundig.
Was er herausfand, war überaus interessant, und er entschloss sich zu einem Besuch bei dem Mystiker.
Nicholas Abe öffnete schon nach dem ersten Läuten die Tür und
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