Elfenzeit 5: Schatten des Totenreiches - Schartz, S: Elfenzeit 5: Schatten des Totenreiches
was mit ihm geschieht, und ich könnte niemals ertragen, auch ihn zu verlieren. Ich sehe nur einen Weg für mich: den nach Annuyn. Wenn ich versage, so trifft es nur mich und niemanden sonst, und Euer Urteil hat mich letztendlich doch erreicht, aber ohne Blutschuld. Ich weiß, dass ich mein Kind dadurch selbst in Gefahr bringe, aber ... wir sind nicht zu trennen. Ich muss die Entscheidung treffen, und ich kann nicht warten. Mir bleibt nicht viel Zeit.«
Nadja war atemlos nach ihrer langen Rede, doch sie hatte noch etwas hinzuzufügen: »Ich bin nach Venedig gegangen, auf die Insel des Todes, um David zu befreien. Nun gehe ich ins Land des Todes, um Rian zurückzuholen. Ich lasse mich nicht aufhalten, Majestät. Nicht einmal durch Euch.«
Betreten blickten die Elfen zu Boden. Pirx nahm sein rotes Mützchen in die Hände und wackelte auf den Herrscher zu, der noch immer vor dem Fenster stand.
»Gebieter«, begann er mit dünner, aber entschlossener Stimme. »Es ist so ... der Getreue ist auch unterwegs nach Annuyn, um Rian zu holen. Und ich glaube, Nadja ist die Einzige, die ihn aufhalten kann. Sie war es schon die ganze Zeit. Wir ... wir brauchen ihre Hilfe, gerade weil sie etwas ganz Besonderes ist, vor allem als Grenzgängerin. Das hat Königin Bandorchu erkannt. Wir Elfen können Annuyn nicht betreten, solange wir leben. Aber ich glaube, Nadja kann es schon, weil sie ihren Schatten bei sich trägt.« Er deutete auf den reglosen schwarzen Fleck hinter Nadja, der von keinem Licht geworfen werden konnte.
»Lasst sie gehen«, pflichtete Grog bei. »Nadja ist jetzt unsere einzige Hoffnung, die Dinge zum Guten zu wenden. Und sie muss sich wahrhaftig beeilen, denn der Getreue ist bereits unterwegs, um nach Rhiannons Schatten zu suchen. Genau, wie Pirx es gesagt hat.«
»Er wird ihn nicht finden«, behauptete Pirx eifrig. »Aber Nadja schon. Sie ist Rians Freundin, und sie kann sehr gut beobachten. Sie verdient ihren Lebensunterhalt damit, Herr. Sie ist sehr gut im Aufspüren. Wenn es jemandem gelingen kann, dann ihr.«
»Närrischer kleiner Igel«, knurrte Fanmór.
»Ja, Gebieter. Das lässt sich nicht leugnen.« Pirx neigte den Stachelkopf.
»Und was ist dein Wort dazu, Grogoch?«
»Ich kenne die Last des Alters inzwischen, Gebieter, genauso wie Ihr. Ihr und ich, wir sind einen weiten Weg gegangen. Doch er ist noch nicht zu Ende. Ich vertraue Nadja. Sie hat mich viel gelehrt.«
»Ich sage«, erklang Regiatus’ Stimme, »sie soll es versuchen. Wir können dadurch alles gewinnen, werden aber nichts verlieren.«
»Nichts?« Über Davids Gesicht liefen Tränen. »Nadja ...«
Sie schluckte schwer und konnte es nicht verhindern, dass auch ihre Wangen nass wurden; aber nur kurz, dann schluckte sie alles hinunter. »Bitte, David. Ich habe dich gesucht, jetzt will ich dasselbe für Rian tun. Du musst mir vertrauen.«
»Was macht dich so sicher?«, fragte Fanmór volltönend dazwischen.
Ruhig wandte sie sich ihm zu. »Weil es an der Zeit ist, mit allem ins Reine zu kommen, König Fanmór.«
Zwei Wachen brachten Nadja zu einem anderen Raum des Baumes, weit oben. Es war ein anstrengender, schweißtreibender Aufstieg, mit steilen, engen Wendeltreppen aus knorrigen Ästen, frei schwebenden schmalen Plattformen und dergleichen mehr. Vielleicht gab es einen komfortableren Weg, aber nicht für Nadja. Sie durfte keinen Schritt ohne Bewachung unternehmen, und es war schon ein harter Kampf gewesen, bis man sie überhaupt hinaufgelassen hatte.
Aber Nadja hatte sich durchgesetzt und verlangt, Abschied nehmen zu dürfen. Sie hatte keine Angst mehr, sondern war von Fatalismus durchdrungen. Alles um sie herum nahm sie wie durch einen Nebel wahr, als wäre es ein Traum.
In luftiger Höhe erreichten sie schließlich einen kleinen Raum, der mit seinem locker geflochtenen Astwerk und den großen natürlichen Sichtöffnungen halb offen, halb geschlossen wirkte. Der Boden war eine gezimmerte Plattform und in den Baum hineingewachsen.
Nadja wandte sich den martialisch gerüsteten Wachen zu, die mit ihr hineindrängten. »Glaubt ihr, ich werde ihn ermorden?«
Sie machten betretene Gesichter, traten hinter die Schwelle zurück und schlossen die Tür behutsam von außen.
Zwei Liegen standen in diesem Raum, mit erhöhtem Kopfteil und leicht erhöhtem Fußteil, bezogen mit grünem Samt. Auf einer lag Rian, in ein weißes Gewand gekleidet, mit blütenumkränzter Stirn. Man hätte glauben können, sie schliefe, wäre nicht die graubleiche
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