Elfenzeit 5: Schatten des Totenreiches - Schartz, S: Elfenzeit 5: Schatten des Totenreiches
Begehr?«
»Ich suche nach dem Schatten meiner Freundin Rhiannon, der Tochter des Hochkönigs Fanmór.«
»Ich habe sie nicht gesehen, bedaure«, sagte der Schattenwirt. »Normalerweise kommen alle Neuen hierher, doch ich kann mich nicht an diese erinnern. Doch das muss nichts bedeuten. Ich kann sie erst erkennen, wenn sie sich an sich selbst erinnert. Vorher ist sie nur ein hohler Schatten, so wie diese armen Tröpfe da.«
Er wies auf eine Ecke seines Gasthauses, in der dünne Schatten saßen oder halb auf Bänken lagen. Sie schwankten leicht hin und her, manche fielen wie nasser Nebel auseinander. Dann eilte eine Schattenschankmaid herbei und setzte sie wieder zusammen.
Nadjas Herz krampfte sich zusammen, als sie einen der Schatten erkannte. Hastig ging sie auf ihn zu und versuchte nach ihm zu greifen, doch seine hauchfeine Struktur zerfaserte, als ihre Hand hindurchfuhr, und setzte sich an anderer Stelle wieder zusammen. Die Augen des Schattenwesens lagen tief in dunklen Höhlen, kaum mehr zu erkennen.
»Boy X«, wisperte Nadja. »Ich bin’s, Nadja! Erinnerst du dich an mich? Wir sind uns in Paris begegnet ... Du hast Lieder komponiert und gesungen.«
Der Schatten regte sich nicht, starrte durch sie hindurch. Frustriert kehrte Nadja zu dem Schattenwirt zurück.
»Ich kenne ihn, er war ein Mensch ...«
»Das ist sein Seelenschatten«, erklärte er. »Die unverdaulichen Reste einer Seele, die verschlungen wurde. Mehr gibt es nicht von ihm. Er wird sich nie mehr erinnern.«
»Er hat ... keine Hoffnung auf Erlösung?«, flüsterte Nadja, von Grauen ergriffen. Finsterer Hass regte sich in ihr, auf Königin Bandorchu und den Getreuen gleichermaßen.
»Keiner von denen.« Der Wirt hob den Arm und zeigte auf seine Gäste. »Sie durchwandern auf ewig das Graue Reich, ohne Erinnerung. Allerdings auch ohne Leid, sie sind nur leere Hüllen. Kein Grund zum Mitleid.«
»Aber ...«
»Besser hier als anderswo, Lebende.«
Nadja wiegte zögernd den Kopf. »Also ... hat Rian ihre Erinnerung noch nicht zurück.«
»Das ist gut, denn in diesem Fall ist sie noch nicht endgültig her. Sobald sie sich ihrer selbst bewusst wird, kannst du sie nicht mehr mitnehmen. Aber was rede ich da: Das ist auch so unmöglich. Du müsstest an ihrer Stelle die drei Fragen beantworten, und das kannst du nicht.«
»Das wird sich zeigen.« Nadja überlegte. »War eigentlich schon ein anderer Kerl hier, so ein Finsterer mit Kapuze, der auch nach Rian gefragt hat?«
»Nein. Aber das muss nichts besagen. Mein Gasthaus ist nicht das einzige.«
»Danke. Bin ich etwas schuldig?«
»Eine artige Frage. Aber nein, nicht in diesem Reich. Viel Glück auf der Suche, du wirst es brauchen.«
Nadja nickte dem Schattenwirt zu, warf noch einen letzten kummervollen Blick auf den Überrest von Boy X und machte sich wieder auf den Weg. Sie war sicher, dass Rian irgendwo hier war, und dann würde sie sie auch finden. Sie lernte immer besser, die Schatten voneinander zu unterscheiden. Solange der Getreue nicht aufkreuzte, war noch ein bisschen Zeit.
Als sie an der nächsten Kreuzung ankam, hockte dort ein schwarzer Kater und leckte sich die Pfote.
Nadja war so verblüfft, dass ihr der Mund offen stand. Dieses Tier war zweifelsohne genauso stofflich und lebendig wie sie, und sie erkannte es. Zuerst war sie ihm in Venedig begegnet, zuletzt hatte sie es gestern auf dem Markt gesehen – also doch. »Kater!«, rief sie leise. »Bist du das wirklich?«
Der Kater hielt inne und sah aus munteren gelbgrünen Augen zu ihr hoch. »Miau«, sagte er.
»Wenn du jetzt hier bist ... und auf mich gewartet hast ... und mir gestern geholfen ...«, stammelte Nadja, »dann bist du in Venedig doch wegen Rian ins Haus gekommen, nicht wahr?«
Der Kater nickte.
»Wer bist du?«
»Miau.« Er lief zu ihr und strich schnurrend um ihre Beine. Dann versetzte er ihr einen leichten Schlag mit der Pfote, als wolle er sie vorwärts treiben.
»Ich folge dir«, sagte Nadja.
Der schwarze Kater führte Nadja zu einem Fluss, dessen graue Fluten ruhig dahinflossen. Ohne anzuhalten, kletterte das Tier auf eine Schattenweide, die direkt am Ufer stand. Es stiefelte die Äste entlang, bis es die andere Uferseite erreichte, und sprang zu Boden. Dann miaute es auffordernd.
Misstrauisch betrachtete Nadja das grautrübe Wasser und den Abstand zum anderen Ufer. Zu weit zum Springen, fand sie. Nervös ging sie auf und ab, während der Kater drüben immer fordernder miaute. Vielleicht war es nicht
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