Elfenzeit 6: Die wandernde Seele - Thurner, M: Elfenzeit 6: Die wandernde Seele
Trotz ihrer scheinbaren Schwäche besitzt sie außerordentlich viel Macht, die sie der Königin uneingeschränkt zur Verfügung stellt. Warum, entzieht sich meiner Kenntnis.«
»Du redest ganz frei über diese Dinge und hilfst mir nicht, sie öffentlich zu machen?«, fuhr ich ihn an. »Ich verrotte hier, während Eirinya ihre Komplotte schmiedet und ungeschoren davonkommt?«
»Sie ist Königin«, sagte Laetico mit gesenktem Kopf. »Sie ist meine ... Mutter. Ihr Zauber hat uneingeschränkte Macht über mich. Man wird mir nicht glauben, selbst wenn ich die Wahrheit sage. Die Furcht vor ihr ist zu groß. Selbst Golpash wagt es kaum, ihr zu widersprechen.«
»Was soll ich tun?«, fragte ich nach einer Pause. »Was
kann
ich tun?«
»Alles läuft auf ein Todesurteil hinaus.« Laetico wagte es nicht, mir in die Augen zu blicken. »Die Elfen wollen ein Opfer. Wenn wir uns gegenseitig in Kämpfen aufreiben und Feinde in der Schlacht töten, stört sich niemand daran. Doch jemand, der menschenähnliche Gefühle zeigt und zu ... Schandtaten bereit ist, muss mit der Todesstrafe rechnen.«
»Sollen diese Worte mir etwa Trost spenden? Wenn ja, dann ist dir das gründlich misslungen.«
»Ich versuche, realistisch zu bleiben. Ich sehe eine einzige Möglichkeit, dir das Leben zu retten.«
»Und die wäre?«
»Abwarten.« Laetico wandte sich ab. »Wir reden weiter, wenn es so weit ist.« Er ging auf die Zellentür zu, überlegte es sich dann noch einmal anders und blieb stehen. »Was immer geschieht, welches Urteil dich auch erwartet: Beschuldige unter keinen Umständen die Königin! Halte deine Nerven im Zaum. Sie besitzt angeblich Kontakte ins Reich Annuyn, in die Schattenwelt. Wenn du sie weiter reizt, sorgt sie dafür, dass du selbst dort nicht zur Ruhe kommst.«
»Ich verstehe.«
Laetico ließ mich mit meinen Gedanken und meinem Zorn allein. Tiollo, dieser Ort, der mir einmal als Inbegriff alles Schönen und Guten erschienen war, wandelte sich für mich immer mehr zu einem Hort des Grauens.
Die Steinerne Koralle war einer der ältesten Teile des Schlosses. Ihre Haut war dünn und zusammengeschrumpft. Sie stand unter großer Spannung, als könnte sie im nächsten Moment in tausend Stücke zerspringen. Ein jeder Schritt, den die Wachen vor meiner Zelle und auch in weiter entfernten Bereichen Tiollos taten, hallte laut von den Wänden wider und erzeugte unangenehme Schwingungen. Auch war die Luft trocken und heiß. Die alt gewordene Korallenhaut speicherte die Hitze der Sonne und gab sie in verstärktem Maß an ihr Inneres weiter.
Als man mich nach vier Tagen zum König brachte, war ich einem Zusammenbruch nahe. Ich war bei Weitem nicht so belastbar, wie ich immer von mir gedacht hatte.
Die Verhandlung fand in einem Nebenraum des Thronsaals statt. Mehrere ältere Würdenträger standen an den Wänden. Ich sah Quantipot, den alten Kämmerer, dessen Brust verholzt war und zurzeit karmesinrote Blüten trug; die rundliche Dhadze, die seit Ewigkeiten für den Haushalt auf dem Schloss zuständig war; Sibhuin und Laech, die Hauspropheten, die mit ihren Weissagungen selten ins Schwarze trafen und stets für Gelächter sorgten. Manchmal glaubte ich, dass Golpash sie als seine Hofnarren hielt.
Sie alle wirkten nun wie Statuen. Aus ihren Gesichtern war nichts herauszulesen. Suidhan und Levelle saßen mit dem Rücken zu mir. Offenbar hatten sie bereits ihre Aussagen gemacht.
Königin Eirinya strafte mich mit Missachtung und blickte starr an mir vorbei. War es Zufall, dass sie jenes hochgeschlossene Kleid trug, das sie auch in unserer ersten gemeinsamen Nacht angelegt hatte?
König Golpash erhob sich. Er streichelte über seinen Bart und sagte: »Schuldig.« Dann ließ er sich schwer auf seinen Stuhl fallen und tat so, als wäre damit alles erledigt.
Ein untersetzter Elf mit schlapp herabhängenden Ohren trat neben ihn und sagte: »Als Fallrichter des Königreichs Escur bestimme ich, dass Fiomhas Körper geöffnet und die inneren Organe entnommen werden sollen, ohne dass der Geist erlischt. Die Heiler werden dafür Sorge tragen. Danach wird er zum Ausdörren in die Ebene von Gluimsah geschafft. Ein Nistel-Parasit soll zwischen die Rippen genäht werden, so lange, bis er die Erwachsenengröße erreicht hat. Dann ...«
Erst jetzt erwachte ich aus meinem tranceartigen Zustand. Ich sah den flehenden Blick Laeticos. Es hielt ihn kaum auf seinem Sitz neben dem König. Wenn ich nicht widersprach, würde man mich fortschleppen und das
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