Elidar (German Edition)
Elidar, die das Allerschlimmste befürchtet hatte, war gleich nach diesen Worten in tiefen Schlaf gefallen, der zwei Tage und drei Nächte andauerte, und aus dem sie geschwächt, hungrig und orientierungslos erwachte. Sie wusste nicht, was sie nun erwartete - eine Bestrafung? Womöglich die Wiederholung der Prüfung oder noch schlimmer: der Ausschluss aus dem Orden?
Nicodemus Bär war der Erste, der sie aufsuchte. Elidar saß auf ihrer Schlafstelle und las in den »Prinzipien einer zeitgemäßen Elementmagie« – oder vielmehr, sie starrte auf die Buchseite, ohne den Sinn der Worte und Sätze zu erfassen, nagte an ihrem Daumennagel und grübelte.
Plötzlich öffnete sich die Tür und Honorabilis Bär murmelte: »Ist es erlaubt?«
Elidar erstarrte, stand dann hastig auf. Das Buch fiel zu Boden. Jetzt kam also endlich das, wovor sie sich fürchtete - aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass es der Stellvertreter seiner Magnifizenz sein würde, der sie deswegen aufsuchte. Wäre ihr Besucher der Novizenmeister, dann hätte sie sich Hoffnungen machen dürfen, dass die zu erwartende Bestrafung möglicherweise weniger hart ausfiel – aber der Honorabilis? Das verhieß Schlimmes.
Bär brummte beruhigend. »Setz dich wieder hin, Elidar, du siehst aus, als würdest du jeden Moment umkippen.« Er zog sich einen Hocker heran, auf dem er sich vorsichtig niederließ, und hob dabei das Buch vom Boden auf.
Er beugte sich vor und musterte Elidar, die sich wieder auf den Rand ihrer Liege gesetzt hatte. »Du bist blass und hohläugig«, sagte er anklagend. »Hat Eusebian sich nicht anständig um dich gekümmert?«
Elidar versicherte ihm, dass der Cubicular sie sogar geradezu verhätschelt habe.
Bär nickte. »Gut«, sagte er. »Es tut mir leid, dass ich heute erst zu dir komme, aber du hast uns alle gründlich außer Gefecht gesetzt.« Er schmunzelte ein wenig gequält. »Ich fürchte, es hat unser Verhältnis zum Salamanderorden nicht verbessert, dass du dem Erzmagus erst den Backenbart abgefackelt und ihn dann beinahe umgebracht hast.«
Elidar lächelte pflichtschuldig und entspannte sich ein wenig. Es schien, als würde sie nicht gehen müssen.
Nicodemus Bär streichelte gedankenverloren über den Einband des Buches. »Wir rätseln seit der Prüfung, was genau geschehen ist«, sagte er. »Kannst du uns aufklären?«
Elidar schüttelte den Kopf. »Ich habe niemals zuvor auf diese Kraft zugreifen können«, sagte sie. »Ich hätte euch alle um ein Haar getötet.« Und die ganze Welt gleich mit, dachte sie, obwohl ihr dieser Gedanke jetzt, wo sie auf ihrem Bett saß, beinahe lächerlich anmaßend erschien.
Bär rieb sich die Nase. »Es war eindrucksvoll«, murmelte er. »Seine Magnifizenz möchte dich gerne darüber befragen, aber er ist noch nicht soweit wiederhergestellt, dass wir ihm das erlauben können.« Er lächelte über den kleinen Scherz, aber der Ausdruck seiner Augen war besorgt.
Er legte das Buch behutsam auf ihr Bett und erhob sich. »Betrachte dich bis zu eurer Einkleidung als Magister praestolatus. Du bekommst ein größeres Zimmer zugewiesen, wenn du das wünschst.« Er blickte sich missbilligend um. »Wenn ich dir etwas raten darf: Wünsche es dir!«
Valon kam zu ihr, kaum dass Bär zur Tür hinaus war, er musste draußen gewartet haben. Er musterte sie mit unverhohlener Neugier. »Wir werden alle noch nicht eingekleidet wegen dir«, sagte er mit leisem Vorwurf.
Elidar nahm seine Worte gelassener hin, als sie selbst erwartet hätte. Aber vor dem Hintergrund des Geschehenen war die aufgeschobene Einkleidung wahrhaftig ohne große Bedeutung. Sie betrachtete Valon mit dem neuen Blick, den sie seit der Prüfung für diese so zerbrechliche Welt übrig hatte.
Er war ebenso wie sie kein Kind mehr, sondern ein ernsthafter junger Mann mit einer aristokratischen Erscheinung, derer er sich durchaus bewusst war. Elidar sah, dass er aufgehört hatte, sich die Haare zu scheren. Die dunkelblonden Stoppeln auf seinem Kopf waren schon so lang, dass er damit bereits ein gutes Stück vor der Prüfung aufgehört haben musste. Elidar lächelte. Auch Valerian hatte sich ständig darüber beklagt, wie unzumutbar er die Sitte fand, den Novizen die Köpfe zu scheren. Sie fuhr sich unwillkürlich über den Kopf, wo ebenfalls ein dichter, feiner Flaum wuchs. Würde sie mit Haaren am Ende weniger wie ein Mann aussehen? Niemand hatte bezweifelt, dass sie einer war, auch wenn Valon sie gelegentlich mit ihren glatten, vollkommen
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