Ellin
beherrschen. Dies ist nur ein Weg. Er mag uns in die Tiefe führen, doch irgendwann führt er uns auch wieder hinaus.«
Ellin nickte, senkte den Kopf und konzentrierte sich auf ihren Atem. Schwer und drückend war die Luft, die sie in ihre Lungen sog, es fühlte sich an, als würde sie versuchen, Flüssigkeit zu atmen. Wie ein heißer Strom pulsierte das Blut durch ihren Leib und pochte gegen die Schläfen. Wenn es tief unter der Erde schon so warm war, wie warm würde es dann erst an der Oberfläche sein? »Unerträglich«, hatte Nuelia gesagt. »Eine glutheiße Steinwüste, die kein lebendes Wesen zu durchqueren vermag.«
»Macht Euch die Enge denn gar nichts aus?«, fragte Ellin. Bela lächelte und schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil, ich mag die Wärme und die Enge um mich herum.«
Das erstaunte sie. »Wirklich? Wie kann das sein?«
»Es liegt wohl in meinem Blut«, erwiderte Bela geheimnisvoll. Ellin betrachtete die kleine Magierin. Ihr weißes Haar leuchtete in der Düsternis und sie atmete so ruhig, als würde sie durch den Palastgarten spazieren. Sie schwitzte auch nicht oder blickte sich angstvoll um wie die anderen.
Im Licht der Fackeln offenbarten sich Abzweigungen und Nischen, die noch schmaler und enger waren als der Haupttunnel. Nichts war zu hören als keuchender Atem, Schritte und das Hufgeklapper und Schnauben der Pferde. Niemand sprach. Ob es daran lag, dass kaum genug Luft zum Atmen geschweige denn zum Reden vorhanden war, oder dass ihnen einfach nicht der Sinn danach stand, vermochte Ellin nicht zu sagen. Stunde um Stunde folgten sie dem Gang, bis ihre Beine schmerzten und ihre Lunge nach frischer Luft lechzte. Mittlerweile war es wahrscheinlich tiefe Nacht. Sie sehnte sich nach einer Verschnaufpause.
Wie auf Kommando hielt die Gruppe plötzlich inne. Der Gang mündete in eine kleine Höhle, von der aus drei weitere Gänge in verschiedene Richtungen abzweigten. Die Höhlendecke war so niedrig, dass die Männer den Kopf einziehen mussten, um sie zu betreten, doch wenigstens schien die Luft ein wenig angenehmer.
»Hier werden wir rasten«, entschied Kylian.
Bela öffnete die Satteltasche eines Lastpferdes und zog ein bauchiges Gefäß sowie eine Flasche mit brauner, sirupartiger Flüssigkeit heraus. Nachdem sie die Flüssigkeit in das Gefäß gefüllt hatte, steckte sie einen Docht hinein und entzündete ihn. Ellin betrachtete die Lampe staunend. Nachtöllampen waren teuer und deshalb nur selten in Gebrauch. Soweit sie wusste, gab es auf der Felsenfestung keine Einzige davon. Dabei waren sie ungemein praktisch. Sie brannten lang und gleichmäßig, rußten und rauchten nicht und verbreiteten ein angenehmes Licht. Hell genug, um gut zu sehen, aber nicht gleißend.
Die anderen löschten die Fackeln. Die Nachtöllampe spendete ausreichend Helligkeit für ihre Verrichtungen. Ellin aß einen Gerstfladen mit Kräuterschmalz und leerte ihren Wasserschlauch. Gerne hätte sie sich gewaschen, denn sie fühlte sich verschwitzt und schmutzig, doch der knappe Wasservorrat ließ nur eine Handvoll Wasser zu, mit der sie notdürftig die schwarzen Spuren aus ihrem Gesicht rubbelte. Anschließend legte sie sich in eine Mulde am Boden, stopfte das Bündel unter ihren Kopf und schloss erschöpft die Augen.
»Ellin, wir müssen weiter.« Jemand rüttelte sie an der Schulter. Jesh.
Verwirrt öffnete sie die Augen. Es erschien ihr, als wäre sie eben erst eingeschlafen. Da sie den Himmel nicht sehen konnte, war sie nicht in der Lage es genau zu beurteilen.
»Ist es denn schon Morgen?«, fragte sie mit kratziger Stimme. Ihr Mund war staubtrocken und ihre Kehle brannte vor Durst.
»Nein«, erwiderte Jesh. »Doch wir müssen uns beeilen. Wir sind nicht allein.«
Sofort war Ellin hellwach. »Was heißt das?« Erst jetzt bemerkte sie Jeshs besorgte Miene und die Hast der anderen.
»Die Nox hausen in den Stollen«, wisperte er.
»Die Nox?« Sie sah ihn verdutzt an.
Jesh half ihr auf die Füße. »Für Erklärungen bleibt keine Zeit. Wir müssen weiter.«
Hastig raffte sie ihr Bündel zusammen, während sich die Gruppe bereits am mittleren Tunnel formierte. Kylian winkte sie zu sich heran. »Du bleibst an meiner Seite«, flüsterte er und ergriff ihre Hand. Es war das erste Mal seit der Brandmarkung, dass sie einander berührten. Trotz ihrer Furcht spürte Ellin jeden einzelnen Finger, der sich zwischen ihre schob. Er dirigierte sie zwischen sich und Jalo und legte ihre Hand an die Mähne des Hengstes.
»Halt
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