Elsas Küche: Roman (German Edition)
auf dem Weg zu den Roma. Einmal etwas Gutes tun . Sie dachte an den kleinen Jungen. Elsa, wähl etwas Gutes aus und tu es!
Als sie im Romaviertel vor dem Häuschen stand, in das sie das Blumenmädchen hatte gehen sehen und vor dem die Jungen gespielt hatten, war sie fest entschlossen, Schadensersatz zu leisten und ihre Hilfe anzubieten. Sie spähte durch die Holzlatten und versuchte, etwas zu erkennen. So früh am Morgen bewegte sich nichts im Hof, und auch von drinnen war kein Lebenszeichen zu hören. Sie ging am Tor vorbei und suchte nach einer Stelle zwischen den Latten, von der aus sie das Haus besser sehen konnte. Auch hoffte sie, irgendwann Kinderstimmen zu hören – oh, wie sehr hoffte sie das, aber alles blieb still. Sie schlug mit der flachen Hand ans Tor. Dann rief sie laut. Sie schlug noch einmal ans Tor und brachte den ganzen Zaun zum Beben. Sie hoffte, er würde umfallen, denn dann konnte sie zum Haus gelangen und an die Haustür klopfen. Es kam keine Antwort. Offenbar war niemand zu Hause.
Weiter oben an der Straßenecke hatte ein Geschäft geöffnet, dort ging Elsa hin. Im Laden sprachen zwei Männer leise miteinander. Sie schrieben Zahlen in ein Kassenbuch und gestikulierten, als wäre das Kassenbuch eine dritte Person. Sie nickten ihm zu und fluchten und fuchtelten vor ihm herum, als würde es sie beleidigen. Elsa sah, dass die Männer Zahlen zusammenzählten und über etwas stritten. Sie sprachen jedoch so schnell und mit so starkem Akzent und so vielen Romawörtern, dass sie Mühe hatte, ihnen zu folgen. Als sie sie bemerkten, hielten sie inne und sahen sie an, als wäre sie ein Gespenst, das aus dem Nichts erschienen war.
»Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte der Ladenbesitzer misstrauisch und blickte hinter sie, um zu sehen, ob sie allein gekommen war. Elsa spürte, dass der andere Mann sie ebenfalls musterte.
Sie strich sich übers Haar und warf ihnen ein Lächeln zu. Sie deutete die Straße hinunter, wo das Häuschen stand.
»Ich suche die Leute, die in dem Häuschen dort wohnen. Wissen Sie, ob die zu Hause sind? Oder wissen Sie vielleicht, wo ich sie finden kann?«
Der Ladenbesitzer ging zur Tür und blickte zu dem Häuschen hinüber. Er schüttelte den Kopf.
»Die? Keine Ahnung«, sagte er. »Aber die gehen einem ganz schön auf den Wecker. Gestern Abend hab ich die Jungs nach Hause stolpern sehen. Sie wirkten betrunken. Kleine Kinder, wohlgemerkt. Sehr traurig. Und dann ist die ganze Bagage aufgeregt weggegangen. Ich hab keine Ahnung, wohin.«
Elsa fühlte sich wie benommen. Sie dachte an die nach Hause stolpernden Jungen. Die Vorstellung war zu furchtbar. »Ich muss sie finden«, sagte sie.
Der Ladenbesitzer musterte sie von Neuem. Er hatte ein scharf geschnittenes Gesicht, einen Schnurrbart und kurze Haare. Sein dicker Bauch ragte vor. Er wirkte wohlhabend. Er trug einen teuren Trainingsanzug und neue Turnschuhe. Er sah sie noch immer prüfend an und sagte dann: »Tja, sie schulden mir Geld, deshalb muss auch ich sie finden.«
Der andere Mann schlug im Kassenbuch nach und nickte. Er blickte Elsa an. »Wenn sie Ihnen Geld schulden, müssen Sie warten, bis Sie an der Reihe sind«, sagte er.
Er sah Elsa streng an, so als wollte er sich ein Bild von ihr machen und herausfinden, was sie in dieser Gegend verloren hatte. Elsa blickte auf ihre Schuhspitzen. Dann hatte sie eine Idee.
»Ich schulde ihnen Geld!«, erklärte sie.
Bei diesen Worten wurden die beiden Männer hellhörig und blickten einander an. Ihr Misstrauen wuchs.
» Sie schulden ihnen etwas?«, sagte der Ladenbesitzer. »Ist das Ihr Ernst?«
»Das ist doch das Haus, in dem die junge Blumenverkäuferin wohnt, mit drei kleinen Jungs, oder?«
Der Ladenbesitzer nickte.
»Sie haben bei mir gearbeitet. Ich schulde ihnen 10000 Forint.«
Die beiden Männer tauschten wieder Blicke aus.
»Sie haben gearbeitet?«, fragte der Ladenbesitzer mit hochgezogenen Augenbrauen. Er nahm seinem Gehilfen das Kassenbuch ab und schlug es auf. Er dachte an den vorigen Abend, als die Väter hereingeschaut und einen Film verlangt hatten. Sie hatten zugeknöpfter gewirkt als normalerweise: Der Große hatte umhergeblickt und der Kleine geschwitzt und versucht, nicht von seinem Schwindelgefühl übermannt zu werden. Er hatte ihnen gegeben, was sie benötigten, und obendrein 4500 Forint Bargeld. Das stand zumindest im Kassenbuch. Mit 6000 Forint wären alle Schulden getilgt. Er sah sich Elsa näher an: Sie führte etwas im Schilde, und sie
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