Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
wenige Sekunden seine Hände, mit den Handflächen nach oben, direkt neben die Lampe in den Feuerschein.
Tadeya hatte noch nie die Narben vergleichbarer Verletzungen gesehen. Jemand musste diese Handflächen mit unzähligen Messerschnitten überzogen haben, sodass kein unversehrtes Fleisch mehr übrig blieb. Auch die Fingerspitzen beider Hände waren vernarbt und der kleine Finger der linken Hand war am unteren Glied abgetrennt. Dieser Anblick löste in Tadeya einen körperlich spürbaren Schmerz aus. Sie biss die Zähne aufeinander, doch trotzdem kam ein leiser Laut des Entsetzens über ihre Lippen.
Robert hatte die Handschuhe nur Augenblicke später wieder angezogen und hielt nun den Blick gesenkt. Tadeya spürte nur allzu deutlich, dass die körperlichen Wunden nur ein kleiner Teil seiner Geschichte waren. Er hatte sich den Anschein gegeben, unverletzbar zu sein. Doch nun wusste sie, dass dies beileibe nicht der Wahrheit entsprach. Diese Tatsache machte ihn in ihren Augen sehr viel menschlicher. Und eine andere, nun plötzlich zur unleugbaren Gewissheit gewordene Vermutung erwärmte ihr zuvor so zorniges Herz: Robert Adlam war der Sohn ihrer Mutter. Er war ihr großer Bruder.
Sie konnte eine ganze Weile nichts sagen, so, wie auch er schwieg. Ihre Gedanken flogen wie aufgescheuchte Vögel in alle Richtungen davon, sie konnte keinen von ihnen fangen und festhalten. Das Einzige, was sie von einer Minute auf die andere felsenfest wusste, war, dass alles, was er ihr erzählt hatte, der Wahrheit entsprach. Ein Fluch lastete auf ihrer gemeinsamen Familie. Und dieser Fluch besaß die Gestalt eines Menschen. Jemand, der stark genug war, Robert, dem sie selbst kein Haar hatte krümmen können, auf diese Art zu verletzen. Jemand, der ausschließlich nach eigenen Gesetzen lebte und keine Grenzen akzeptierte.
"Was ist mit Elisa?" brachte sie schließlich mit leiser Stimme hervor. " Kann sie - oder will sie nicht eingreifen?"
"Sie wird gar nichts tun", sagte er, ohne wieder aufzusehen. "Sie hat ihm ihre Tochter versprochen und dazu alle deren Nachfahren. Sie gab ihr Einverständnis, dass er auch dich zu sich holt."
Tadeya schüttelte fassungslos den Kopf. " Was gab sie? Und wer fragt nach meinem eigenen Willen?"
"Der steht in dieser Angelegenheit wohl nicht zur Debatte", war seine Antwort.
"Kannst du mir sagen,", begann Tadeya, innerlich nach Fassung ringend, "was Elisa dazu veranlasst hat, jemandem ein solches Versprechen zu geben?"
Ohne Zweifel traute Tadeya ihrer Großmutter eine solche Handlungsweise zu. Doch musste die alte Dame irgendetwas Wichtiges im Gegenzug erhalten haben.
"Falls du ihr jemals wieder begegnest, solltest du sie selbst fragen", erwiderte er, sie noch immer nicht wieder ansehend.
"Es liegt mir nicht wirklich viel daran, hier zu bleiben", erklärte Tadeya an dieser Stelle geradeheraus. "Aber zwei Dinge liegen mir am Herzen." Sie wollte ihm in die Augen sehen, während sie ihre Anliegen vortrug. Doch er verweigerte weiterhin den zuvor noch so intensiven Blickkontakt und hielt den Kopf noch immer gesenkt. Da er keine Anstalten machte, wieder zur ihr zu schauen, fuhr sie nach einigen Augenblicken fort. "Du hast dich bereits mit Jesco Fey bekannt gemacht. Er soll mich begleiten."
"Nein", war Roberts feste Antwort. Und gleichzeitig blickte er endlich wieder auf. Seine Miene war ebenso verschlossen wie vorher, doch schien es ihr wahrscheinlich, dass er durch sein Wegsehen etwas vor ihr verborgen hielt. "Dein Freund Jesco wird sehr genau beobachtet. Ich werde ihn nicht zu dir führen."
"Ich möchte, dass er mit mir kommt", wiederholte Tadeya unbeirrt. "Und ich will die ganze Geschichte erfahren. Nicht nur Bruchstücke, über die ich den Rest meines Lebens rätseln muss."
"Ich werde Jesco zu dir schicken, wenn die Angelegenheit abgeschlossen ist und ich noch lebe", antwortete Robert. "Was die Geschichte betrifft, die du hören willst, musst du mit dem zufrieden sein, was ich dir erzähle. Darüber hinaus gibt es nichts zu sagen."
Tadeya verschränkte die Arme vor der Brust.
"Dann gehe ich nicht", sagte sie in entschiedenem Tonfall. Doch war sie innerlich keineswegs so fest entschlossen, wie sie nach außen hin zu demonstrieren versuchte. Sollte dies tatsächlich eine Wahl zwischen Leben und Tod für sie sein, dann wäre ihr Ersteres doch sehr viel wünschenswerter. Und bereits in dem Moment, als sie zu Ende gesprochen hatte, war ihr deutlich bewusst, dass er ihr Schauspiel durchschaute. Auf
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