E.M. Remarque
komme. Ich komme sofort. Wo bist du?«
»Du kannst nicht kommen. Ich bin eine halbe Stunde weit
von dir. Ich habe nur ein paar Minuten.«
»Halte den Beamten fest! Gib ihm Geld! Ich kann Geld
mitbringen!«
»Joan«, sagte Ravic. »Es geht nicht. Es ist einfacher so.
Es ist besser.«
Er hörte sie atmen. »Du willst mich nicht sehen?« fragte
sie dann.
Es war schwer. Ich hätte nicht telefonieren sollen,
dachte er. Wie soll man etwas erklären, ohne den andern dabei ansehen zu
können. »Ich möchte nichts weiter als dich sehen, Joan.«
»Dann komm! Der Mann kann mitkommen!«
»Es geht nicht. Ich muß aufhören. Sag mir rasch noch, was
du jetzt tust.«
»Was? Wie meinst du das?«
»Was hast du an? Wo bist du?«
»In meinem Zimmer. Im Bett. Es war spät gestern nacht.
Ich kann in einer Minute etwas anziehen und sofort kommen.«
Spät, gestern nacht. Richtig! Das ging ja alles weiter,
auch wenn man eingesperrt war. Man vergaß das. Im Bett, halb verschlafen, die
Mähne wirr auf den Kissen, auf Stühle verstreut Strümpfe, Wäsche, ein
Abendkleid – wie das schwankte: die vor Atem halb angelaufene Scheibe der
heißen Telefonbox; der endlos weit entfernte Kopf des Beamten, der darin
schwamm wie in einem Aquarium – er riß sich zusammen. »Ich muß jetzt aufhören,
Joan.«
Er hörte ihre fassungslose Stimme. »Aber das ist doch
unmöglich! Du kannst nicht einfach so weggehen, und ich weiß nichts, nicht
wohin und was …« Aufgestützt, die Kissen fortgestoßen, das Telefon wie eine
Waffe und wie einen Feind in der Hand, die Schultern, die Augen, tief und
dunkel vor Erregung …
»Ich gehe nicht in den Krieg. Ich muß nur einfach einmal
in die Schweiz reisen. Ich werde bald zurück sein. Denk, ich sei ein
Geschäftsmann, der beim Völkerbund eine Ladung Maschinengewehre verkaufen
will.«
»Wenn du zurückkommst, wird es dann wieder dasselbe sein.
Ich werde nicht leben können vor Angst.«
»Sag das letzte noch einmal.«
»Es ist doch wahr!« Ihre Stimme war zornig. »Ich bin die
letzte, die irgend etwas weiß! Veber kann dich besuchen, ich nicht! Morosow
hast du telefoniert, mir nicht! Und jetzt gehst du fort...«
»Mein Gott«, sagte Ravic. »Wir wollen uns nicht streiten,
Joan.«
»Ich streite nicht. Ich sage nur, was los ist.«
»Gut. Ich muß jetzt aufhören. Adieu, Joan.«
»Ravic«, rief sie, »Ravic!«
»Ja ...«
»Komm wieder! Komm wieder! Ich bin verloren ohne dich!«
»Ich komme wieder!«
»Ja – ja ...«
»Adieu, Joan. Ich bin bald zurück.«
Er stand einen Augenblick in der heißen, dunstigen Box.
Dann sah er, daß seine Hand den Hörer nicht losgelassen hatte. Er öffnete die
Tür. Der Beamte sah auf, er lächelte gutmütig. »Fertig?«
»Ja.«
Sie gingen nach draußen zurück an den Tisch. Ravic trank
sein Glas aus. Ich hätte nicht anrufen sollen, dachte er. Vorher war ich ruhig.
Jetzt bin ich durcheinander. Ich hätte wissen sollen, daß ein Telefongespräch
nicht anderes bringen konnte. Für mich und für Joan nicht. Er spürte die
Versuchung, zurückzugehen und noch einmal anzurufen und ihr alles zu sagen, was
er eigentlich hatte sagen wollen. Ihr zu erklären, warum er sie nicht sehen
konnte. Daß er nicht wollte, daß sie ihn so sah, dreckig, gefangen. Aber er
würde herauskommen, und es würde auch wieder so sein.
»Ich glaube, wir
müssen aufbrechen«, sagte der Beamte.
»Ja ...«
Ravic winkte dem Kellner. »Geben Sie mir zwei kleine
Flaschen Kognak, alle Zeitungen und ein Dutzend Päckchen ›Caporal‹. Und die
Rechnung.« Er sah den Beamten an. »In Ordnung, was?«
»Mensch ist Mensch«, sagte der Beamte.
Der Kellner brachte die Flaschen und die Zigaretten.
»Ziehen Sie mir die Pfropfen«, sagte Ravic, während er die Zigaretten
sorgfältig in seine Taschen verteilte. Er korkte die Flaschen wieder so zu, daß
er sie bequem ohne
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