E.M. Remarque
sanft rollende Kopf, ins Jenseits grinsend, der, als Ravic die
Krawatte durchschnitt, gegen Ruth Goldberg fiel, so daß sie mit einem Schrei
zurückfuhr, die Arme losließ und der Körper mit schlenkernden Armen zur Seite rutschte
und ihr mit einer grotesk clownhaften Bewegung zu folgen schien.
Ravic fing ihn auf und legte ihn mit Wiesenhoffs Hilfe
auf den Fußboden. Er löste die Krawattenschlinge und begann die Untersuchung.
»Ins Kino«, plapperte Ruth Goldberg. »Ins Kino hat er
mich geschickt. ›Ruthchen‹, hat er gesagt, ›du hast so wenig Unterhaltung;
warum gehst du nicht mal ins Théâtre Courcelles, sie spielen da einen
Garbo-Film, die Königin Christine; warum siehst du ihn dir nicht mal an? Nimm
einen guten Platz, nimm Fauteuil oder nimm Loge; sieh es dir an, zwei Stunden
’raus aus der Misere ist auch schon was‹, ruhig und freundlich hat er es gesagt
und mir die Backen getätschelt, ›und nachher ißt du ein Schokoladen- und
Vanilleeis vor der Konditorei am Parc Monceau, tu dir mal was zugute,
Ruthchen‹, hat er gesagt, und ich bin gegangen, und als ich zurückgekommen bin,
da ...«
Ravic stand auf. Ruth Goldberg brach ab. »Er muß es
gleich gemacht haben, nachdem Sie gegangen sind«, sagte er.
Sie hielt die Fäuste vor den Mund. »Ist er ...«
»Wir werden noch etwas versuchen. Künstliche Atmung
zunächst. Verstehen Sie etwas davon?« fragte Ravic Wiesenhoff.
»Nein. Nicht viel. Etwas.«
»Passen Sie auf.«
Ravic nahm die Arme Goldbergs, zog sie zurück bis zum
Boden, preßte sie dann vorwärts bis zur Brust, und zurück, und wieder vorwärts.
Goldbergs Kehle begann zu rasseln. »Er lebt!« schrie die Frau.
»Nein. Das ist die zusammengedrückte Luftröhre.«
Ravic machte die Bewegung noch ein paarmal vor. »So,
probieren Sie es jetzt«, sagte er zu Wiesenhoff.
Wiesenhoff kniete zögernd hinter Goldberg nieder. »Los«,
sagte Ravic ungeduldig. »Nehmen Sie die Handgelenke oder besser die Unterarme.«
Wiesenhoff schwitzte. »Stärker«, sagte Ravic. »Pressen
Sie alle Luft aus den Lungen.«
Er wandte sich an die Wirtin. Inzwischen waren mehr Leute
ins Zimmer gekommen. Er winkte der Wirtin, herauszukommen. »Er ist tot«, sagte
er auf dem Korridor. »Das drinnen ist Unsinn. Ein Rituell, das gemacht werden
muß, sonst nichts. Es wäre ein Wunder, wenn es noch irgendwas nützte.«
»Was sollen wir machen?«
»Das Übliche.«
»Rettungsstation? Erste Hilfe? Das heißt zehn Minuten
später die Polizei.«
»Die Polizei müssen Sie ohnehin anrufen. Hatten die
Goldbergs Papiere?« – »Ja. Gute. Paß und Carte d’Identité.«
»Wiesenhoff?«
»Aufenthaltserlaubnis. Verlängertes Visum.«
»Gut. Dann sind sie in Ordnung. Sagen Sie beiden, nicht
zu erwähnen, daß ich da war. Sie ist nach Hause gekommen, hat ihn gefunden,
geschrien, Wiesenhoff hat ihn abgeschnitten und hat künstliche Atmung versucht,
bis die Ambulanz kam. Können Sie das?«
Die Wirtin sah ihn mit ihren Vogelaugen an. »Natürlich.
Ich werde ohnehin dabeibleiben, wenn die Polizei kommt. Ich werde schon
aufpassen.«
»Gut.«
Sie gingen zurück. Wiesenhoff war über Goldberg gebeugt
und arbeitete. Es wirkte einen Moment, als machten beide Freiübungen auf dem
Boden. Die Wirtin blieb an der Tür stehen. »Mes Dames et Messieurs«, sagte sie.
»Ich muß die Rettungsstation anrufen. Der Sanitäter oder Arzt, der von dort mitkommt,
wird dann die Polizei sofort benachrichtigen müssen. Sie wird spätestens in
einer halben Stunde hier sein. Wer von Ihnen keine Papiere hat, packt besser
sofort seine Sachen, zum wenigsten das, was offen herumliegt, bringt es in die
Katakombe und bleibt unten. Es ist möglich, daß die Polizei die Zimmer
nachsieht oder nach Zeugen fragt.«
Der Raum leerte sich sofort. Die
Weitere Kostenlose Bücher