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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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Mil­lio­nen,
Mil­li­ar­den – es war ein Traum, was?»
    «Ja»,
sa­ge ich.
    Wil­ly
be­glei­te­te mich bis zur Stra­ße. «Ich ha­be ein paar hun­dert Mark ge­ret­tet»,
flüs­tert er. «Noch ist das Va­ter­land nicht ver­lo­ren! Der fran­zö­si­sche Franc ist
dran. Wer­de da auf Bais­se spe­ku­lie­ren. Hast du Lust, mit ei­ner klei­nen Ein­la­ge
mit­zu­ge­hen?»
    «Nein,
Wil­ly. Ich spe­ku­lie­re nur noch auf Haus­se.»
    «Haus­se»,
sagt er, als sa­ge er: Po­po­ka­te­petl.
    Ich
sit­ze al­lein im Bü­ro. Es ist der letz­te Tag. Nachts wer­de ich fah­ren. Ich
blät­te­re in ei­nem der Ka­ta­lo­ge und über­le­ge, ob ich zum Ab­schied noch den Na­men
Wat­zeks auf ei­nem der von mir ge­zeich­ne­ten Grab­stei­ne un­ter­brin­gen soll– da
klin­gelt das Te­le­fon.
    «Bist
du der, der Lud­wig heißt?» fragt ei­ne rau­he Stim­me. «Der, der die Frösche und
Blind­schlei­chen ge­sam­melt hat?»
    «Kann
sein», er­wi­de­re ich. «Kommt dar­auf an, wo­zu. Wer ist denn da?»
    «Frit­zi.»
    «Frit­zi!
Na­tür­lich bin ich es. Was ist los? Hat Ot­to Bam­buss ...»
    «Das
Ei­ser­ne Pferd ist tot.»
    «Was?»
    «Ja.
Ges­tern abend. Herz­schlag. Bei der Ar­beit.»
    «Ein
schö­ner Tod», sa­ge ich. «Aber zu früh!»
    Frit­zi
hus­tet. Dann sagt sie: «Ihr habt doch da bei euch ein Denk­mals­ge­schäft, nicht?
Ihr sag­tet doch so et­was!»
    «Wir
ha­ben das bes­te Denk­mal­ge­schäft in der Stadt», er­wi­de­re ich. «Warum?»
    «Warum?
Mein Gott, Lud­wig, drei­mal darfst du ra­ten! Die Ma­da­me will den Auf­trag
na­tür­lich ei­nem Kun­den ge­ben. Und du hast doch auch auf dem Ei­ser­nen Pferd ...»
    «Ich
nicht», un­ter­bre­che ich sie. «Aber es kann sein, daß mein Freund Ge­org ...»
    «Ei­ner­lei,
ein Kun­de soll den Auf­trag ha­ben. Komm raus! Aber bald! Es war schon ei­ner
hier, ein Rei­sen­der von der Kon­kur­renz – er wein­te di­cke Trä­nen und be­haup­te­te,
er hät­te auch auf dem Pferd ...»
    Trä­nen-Os­kar!
Kein Zwei­fel! «Ich kom­me so­fort!» sa­ge ich. «Die Heul­bo­je lügt!»
    Die Ma­da­me emp­fängt
mich. «Wol­len Sie sie se­hen?» fragt sie.
    «Ist
sie hier auf­ge­bahrt?»
    «Oben,
in ih­rem Zim­mer.»
    Wir
ge­hen die knar­ren­den Trep­pen hin­auf. Die Tü­ren ste­hen of­fen. Ich se­he, daß die
Mäd­chen sich an­zie­hen.
    «Ar­bei­ten
sie heu­te auch?» fra­ge ich.
    Die
Ma­da­me schüt­telt den Kopf. «Heu­te abend nicht. Die Da­men zie­hen sich nur an.
Ge­wohn­heit, ver­ste­hen Sie? Ist üb­ri­gens kein großer Ver­lust. Seit ei­ne Mark
wie­der ei­ne Mark ist, ist das Ge­schäft wie ab­ge­schnit­ten. Kein Aas hat mehr
Geld. Ko­misch, was?»
    Es
ist nicht ko­misch; es ist wahr. Die In­fla­ti­on ist so­fort zur De­fla­ti­on
ge­wor­den. Da, wo es vor­her von Bil­lio­nen ge­wim­melt hat, rech­net man jetzt wie­der
mit Pfen­ni­gen. Es herrscht über­all Geld­man­gel. Der ent­setz­li­che Kar­ne­val ist
vor­bei. Ein spar­ta­ni­scher Ascher­mitt­woch ist an­ge­bro­chen.
    Das
Ei­ser­ne Pferd liegt zwi­schen grü­nen Topf­pflan­zen und Li­li­en auf­ge­bahrt. Es hat
plötz­lich ein stren­ges, al­tes Ge­sicht, und ich er­ken­ne es nur wie­der an ei­nem
Gold­zahn, der an ei­ner Sei­te kaum sicht­bar zwi­schen den Lip­pen blinkt. Der
Spie­gel, vor dem es sich so oft zu­recht­ge­macht hat, ist mit weißem Tüll
ver­hängt. Das Zim­mer riecht nach al­tem Par­füm, Tan­nen­grün und Tod. Auf der
Kom­mo­de ste­hen ein paar Fo­to­gra­fi­en und ei­ne ab­ge­flach­te Kris­tall­ku­gel, auf
de­ren fla­cher Sei­te ein Bild klebt. Wenn man die Ku­gel schüt­telt, sieht es aus,
als sei­en die Leu­te auf dem Bil­de in ei­nem Schnee­sturm. Ich ken­ne das Stück
gut; es ge­hört zu den schöns­ten Er­in­ne­run­gen mei­ner Kind­heit. Ich hät­te es gern
ge­stoh­len, als ich noch in der Bahn­stra­ße mei­ne Schul­ar­bei­ten mach­te.
    «Für
euch war sie ja fast wie ei­ne Stief­mut­ter, was?» fragt mich die Ma­da­me.
    «Sa­gen
wir ru­hig ei­ne Art Mut­ter. Oh­ne das Ei­ser­ne Pferd wä­re ich wahr­schein­lich
Bio­lo­ge ge­wor­den. Sie lieb­te aber Ge­dich­te so sehr – ich muß­te im­mer neue
mit­brin­gen –, daß ich die Bio­lo­gie links lie­gen­ließ.»
    «Rich­tig»,
sagt die Ma­da­me.

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