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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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seid versichert, daß er darüber nachdenken wird.
    Damit ein Kind sich an Aufmerksamkeit gewöhne, und damit es von einer äußerlich wahrnehmbaren Wahrheit tief ergriffen werde, muß ihm letztere einige Tage lang Unruhe bereiten, bevor man es sie finden läßt. Wenn es dieselbe auf die angegebene Weise trotzdem nicht genügend begreift, so gibt es ein Mittel, sie ihm noch in die Augen fallender zu machen, und dieses Mittel besteht darin, die Frage umzukehren. Weiß es nicht, wie die Sonne von ihrem Untergangspunkte zu ihrem Aufgangspunkte gelangt, so weiß es wenigstens, wie sie den Weg von letzterem zu ersterem zurücklegt; schon seine Augen belehren es darüber. Sucht ihm also die erste Frage durch die zweite zu verdeutlichen. Ist euer Zögling nicht völlig schwachsinnig, so kann ihm die Analogie, die ja auf der Hand liegt, unmöglich entgehen. Dies ist seine erste Lection in der Weltkunde.
    Da wir immer nur langsam von einem sinnlichen Begriffe zum andern fortschreiten und uns stets lange mitjedem einzelnen vertraut machen, bevor wir zu einem andern übergehen, und da wir endlich unsern Zögling nie zur Aufmerksamkeit zwingen, so vergeht von dieser ersten Lection bis zur Kenntniß des Laufes der Sonne und der Gestalt der Erde eine gar lange Zeit. Da aber alle scheinbaren Bewegungen der Himmelskörper von derselben Ursache herrühren, und da die erste Beobachtung zu allen übrigen führt, so ist weniger Anstrengung, obgleich möglicher Weise mehr Zeit erforderlich, um von der täglichen Umdrehung zur Berechnung der Finsternisse zu gelangen, als um die Entstehung von Tag und Nacht zu begreifen.
    Da sich die Sonne um die Erde bewegt, so beschreibt sie einen Kreis, und jeder Kreis muß, wie wir bereits wissen, einen Mittelpunkt haben. Dieser Mittelpunkt ist freilich nicht sichtbar, weil er sich im Innern der Erde befindet, aber man kann auf der Oberfläche zwei einander entgegengesetzte Punkte bezeichnen, die ihm entsprechen. Ein Stab, der durch diese drei Punkte ginge und nach beiden Richtungen hin bis an den Himmel verlängert wäre, würde die Achse der Welt und der täglichen Bewegung der Sonne veranschaulichen. Ein sich auf seiner Spitze drehender runder Drehwürfel stellt den Himmel dar, wie er sich um seine Achse dreht; die beiden Spitzen des Drehwürfels bilden die Pole. Dem Kinde wird es jedenfalls eine große Freude machen, einen dieser Weltpole kennen zu lernen. Ich zeige ihm denselben im Schwanze des kleinen Bären. Von jetzt an fehlt es uns auch nicht an einem Zeitvertreibe für die Nacht. Nach und nach machen wir uns mit den Sternen vertraut, und hieraus bildet sich die erste Lust, die Planeten kennen zu lernen und die Sternbilder zu beobachten.
    Wir haben den Sonnenaufgang am Johannistage betrachtet, wir wollen ihn auch zu Weihnachten oder an irgend einem anderen schönen Wintertage sehen, denn, wie bekannt, sind wir nicht träge und machen uns ein Spiel daraus, der Kälte zu trotzen. Ich sorge dafür, daß diese zweite Beobachtung an demselben Orte stattfindet, an welchem wir die erste angestellt haben, und bei nur einigem Geschick in Vorbereitung derselben kann es nicht ausbleiben, daß der Eine oder der Andere ausruft: »Ei, wieseltsam! Die Sonne geht nicht mehr an der nämlichen Stelle auf! Hier sind noch unsere alten Kennzeichen, und jetzt ist sie dort aufgegangen«, u.s.w. Der Ort des Sonnenaufgangs im Sommer ist also von dem im Winter verschieden, u.s.w. – Jetzt, mein junger Lehrer, bist du auf dem richtigen Wege. Diese Beispiele werden ausreichend sein, um dich auf die beste Methode aufmerksam zu machen, die Himmelskunde in richtiger Weise zu lehren, nämlich so, daß du die Kenntniß der Welt aus der Welt selbst und die Kenntniß der Sonne aus der Sonne selbst schöpfest.
    Halte überhaupt den Grundsatz fest, nie das Zeichen an Stelle der Sache zu setzen, falls es nicht unmöglich ist, sie selbst vorzuweisen; denn das Zeichen beschäftigt die volle Aufmerksamkeit des Kindes und läßt es die durch dasselbe dargestellte Sache gänzlich vergessen.
    Das Planetarium oder die Armillarsphäre scheint mir ein schlecht construirtes und in ungenauen Verhältnissen ausgeführtes Lehrmittel zu sein. Dieser Wirrwarr von Kreisen und die sonderbaren Figuren, welche man darauf anbringt, verleihen ihm das Ansehen eines Zauberkastens, der den Geist der Kinder abschrecken muß. Die Erde ist zu klein, die Kreise sind zu groß und zu zahlreich; einige derselben, wie die Jahreszeitenkreise, sind vollkommen

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