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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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zufolge das Wahre ist; hat er ein falsches Urtheil gefällt, so wird auch seine Wahl schlecht sein. Welches ist also die Ursache,die seinen Willen bestimmt? Es ist sein Urtheil. Und welches ist nun wieder die Ursache, die sein Urtheil bestimmt? Es ist seine geistige Fähigkeit, sein Vermögen zu urtheilen. Die bestimmende Ursache liegt in ihm selbst. Hier ist die Grenze, über welche hinaus ich nichts mehr verstehe.
    Ohne Zweifel reicht meine Freiheit nicht so weit, mein eigenes Wohl nicht zu wollen; ich habe nicht die Freiheit, mein Unglück zu wollen. Meine Freiheit besteht eben darin, daß ich nur das zu wollen im Stande bin, was mir heilsam ist, oder was ich wenigstens dafür halte, ohne daß etwas mir Fremdes mich bestimmt. Folgt schon aus dem Umstände, daß es nicht in meiner Gewalt steht, ein Anderer zu sein, als ich bin, daß ich nun auch nicht mein eigener Herr bin?
    Die Quelle einer jeden Handlung liegt in dem Willen eines freien Wesens; einen noch tiefer liegenden Grund vermögen wir nicht nachzuweisen. Nicht das Wort Freiheit ist nichtssagend, sondern das Wort Nothwendigkeit. Irgend eine Handlung, irgend eine Wirkung annehmen, die nicht von einem thätigen Princip ausgeht, heißt doch fürwahr Wirkungen ohne Ursachen annehmen, heißt in einen Kreis unrichtiger Schlüsse verfallen. Entweder gibt es überhaupt keinen ersten Anstoß, oder jeder erste Anstoß entbehrt einer andern vorhergehenden Ursache, und es gibt dann keinen wahren Willen ohne Freiheit. Der Mensch ist demnach in seinen Handlungen frei und als solch freies Wesen von einer immateriellen Substanz beseelt. So lautet mein dritter Glaubensartikel. Aus diesen drei ersten werden Sie sich leicht alle übrige herleiten können, ohne daß ich sie noch weiter aufzuzählen brauche.
    Ist der Mensch nun selbstthätig und frei, so handelt er auch aus eigenem Antriebe. Alle seine freien Handlungen sind von dem von der Vorsehung geordneten Systeme unabhängig und können ihr nicht angerechnet werden. Sie will das Böse nicht, das der Mensch thut, indem er die Freiheit, die sie ihm gewährt, mißbraucht. Aber sie hält ihn nicht von der Ausführung desselben zurück, sei es nun, daß das Uebel, welches von einem so schwachenGeschöpfe ausgeht, in ihren Augen völlig bedeutungslos ist, sei es, weil sie ihn nicht daran behindern kann, ohne daß zugleich seine Freiheit darunter leidet und durch Herabwürdigung seiner Natur ein noch größeres Uebel hervorgerufen wird. Sie hat ihn frei geschaffen, damit er sich aus eigener Wahl nicht für das Böse, sondern für das Gute entscheide. Sie hat ihn auch in den Stand gesetzt, diese Wahl unter richtiger Benutzung der ihm von ihr verliehenen Gaben zu treffen. Aber sie hat seine Kräfte in dem Grade beschränkt, daß der Mißbrauch der Freiheit, die sie ihm gestattet, die allgemeine Ordnung nicht zu stören vermag. Das Böse, was der Mensch thut, fällt auf ihn allein zurück, ohne daß dadurch die geringste Aenderung im Weltsysteme einträte, ohne zu verhindern, daß sich das Menschengeschlecht, selbst wider seinen Willen, noch immer erhalte. Darüber murren, daß Gott der Ausübung des Bösen nicht hindernd entgegentritt, heißt darüber murren, daß er dem Menschengeschlechte so hohe Gaben verliehen hat, daß er mit den Handlungen der Menschen eine Moralität verbunden hat, die sie veredelt, daß er ihnen ein Anrecht auf die Tugend verlieh. Der höchste Genuß liegt in der Zufriedenheit mit sich selbst. Gerade um uns diese Zufriedenheit zu verdienen, wird uns diese Erde angewiesen, werden wir mit Freiheit begabt, von unsern Leidenschaften versucht, von unserm Gewissen zurückgehalten. Was konnte selbst die göttliche Allmacht wol mehr zu unserm Besten thun? Konnte sie Widerspruch in unsere Natur legen und dem, der unfähig war, Böses zu thun, noch eine besondere Belohnung dafür gewähren, daß er Gutes gethan hat? Wie, um den Menschen an der Ausübung des Bösen zu behindern, hätte sie ihn auf den Instinct beschränken und auf den Standpunkt eines Thieres herabdrücken sollen? Nein, Gott meiner Seele, nie werde ich mich unterfangen, dich zu tadeln, daß du mich nach deinem Bilde geschaffen hast, damit ich frei, gut und glücklich sein könne wie du.
    Nur der Mißbrauch unserer Anlagen macht uns unglücklich und böse. An unserm Kummer, unseren Sorgen, unseren Leiden sind wir selbst Schuld. Das moralischeUebel ist unstreitig unser eigenes Werk, und das physische Uebel würde ohne unsere Fehler, die es uns erst

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