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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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zum Besten der Tugend und die Liebe zum Vortheil der Vernunft anwenden.«
    »Gib dich aber trotz alledem nicht dem Wahne hin, als ob du dich auf diese Kunst stets verlassen könntest. Wie vorsichtig man auch immer sein möge, der Genuß stumpft das Vergnügen ab, und vor Allem die Liebesfreude. Allein wenn die Liebe lange gewährt hat, so füllt eine süße Gewohnheit die Leere wieder aus, und der Reiz der Vertraulichkeit folgt auf den Wonnerausch der Leidenschaft. Die Kinder bilden zwischen denen, welchen sie das Dasein verdanken, ein nicht weniger süßes und oft noch stärkeres Band als die Liebe selbst. Sobald du aufhören wirst, Emils Geliebte zu sein, wirst du statt dessen seine Frau und seine Freundin, wirst du die Mutter seiner Kinder sein. Dann laß deine Zurückhaltung schwinden und die höchste Vertraulichkeit zwischen euch herrschen; dann fort mit dem besonderen Bette, fort mit den Weigerungen und Launen. Werde so vollkommen seine Hälfte, daß er deiner nicht mehr entbehren kann, und daß er, sobald er dich verläßt, sich fern von sich selbst fühlt. Nachdem du den Reizen des häuslichen Lebens die Herrschaft im väterlichen Hause gesichert hast, laß sie jetzt auch in deinem eigenenHause herrschen. Jeder Mann, welcher sich in seinem Hause gefällt, liebt seine Frau. Sei eingedenk, daß du nur dann eine glückliche Frau sein wirst, wenn dein Gatte in seiner Häuslichkeit sich glücklich fühlt.«
    »Was nun die Gegenwart anlangt, so sei gegen deinen Geliebten auch nicht zu streng; er hat mehr Hingebung verdient und würde deine Besorgniß übel nehmen. Schone seine Gesundheit nicht so sehr auf Kosten seines Glückes, und genieße dein eigenes. Man darf weder Uebersättigung eintreten lassen noch das Verlangen zurückweisen, nicht versagen, nur um zu versagen, sondern um dem, was man gewährt, einen höheren Reiz zu verleihen.«
    Nachdem ich die Einigkeit unter ihnen wieder hergestellt habe, sage ich in Sophiens Gegenwart zu ihrem jungen Gemahle: »Das Joch, das man sich einmal aufgelegt hat, muß man ertragen. Verdiene, daß es dir leicht gemacht werde. Opfere vor Allem den Grazien und wähne nicht, dich durch Schmollen liebenswürdiger zu machen. Der Friede ist nicht schwer zu stiften, und Jedes wird sich leicht selbst sagen können, auf welche Bedingungen hin er geschlossen werden kann.« Nachdem der Vertrag durch einen Kuß besiegelt ist, wende ich mich an meinen Zögling und sage: »Lieber Emil, der Mensch bedarf sein ganzes Leben hindurch des Rathes und der Leitung. Ich habe diese Pflicht gegen dich bis zu diesem Augenblicke, so gut ich vermochte, erfüllt. Hier endet meine langwierige Aufgabe, und die eines Andern beginnt. Indem ich heute meine Autorität feierlich niederlege; vertraue ich sie für die Zukunft deinem neuen Führer an.«
    Allmählich läßt der erste Wonnerausch nach, so daß sie die Reize ihres neuen Standes in Frieden genießen können. Glückliche Liebende, würdige Gatten! Um ihren Tugenden die ihnen gebührende Ehre zu erweisen, um ihr Glück zu schildern, müßte man ihre ganze Lebensgeschichte erzählen. Wie oft fühle ich mich, wenn ich das Werk betrachte, das ich an ihnen verrichtet habe, von einem Entzücken ergriffen, welches mein Herz höher schlagen läßt. Wie oft ergreife ich ihre verschlungenen Hände und segne die Vorsehung unter freudigen Seufzern; wie oft bedecke ich diese Hände,die so treu einander drücken, mit meinen Küssen; wie oft müssen sie fühlen, daß meine Freudenthränen dieselben benetzen! Auch sie ergreift dann innige Rührung, indem sie meine Freude theilen. Ihre ehrwürdigen Eltern durchleben ihre Jugend noch einmal in der ihrer Kinder, sie fangen gleichsam aufs Neue zu leben an oder sie erkennen vielmehr zum ersten Male den Werth des Lebens. Sie verwünschen ihren früheren Reichthum, der ihnen in dem nämlichen Alter zum Hinderniß gedient hat, ein so entzückendes Loos zu genießen. Wenn überhaupt das Glück auf Erden zu finden ist, dann weilt es in der Heimstätte, die wir bewohnen.
    Nach Verlauf einiger Monate tritt Emil eines Morgens in mein Zimmer und sagt, mich herzlich umarmend: »Mein Lehrer, wünschen Sie Ihrem Kinde Glück; ich hoffe bald Vaterfreuden zu erleben. O welche Sorgen werden dadurch unserm Eifer auferlegt werden, und in wie hohem Grade werden wir Ihrer bedürfen! Da sei Gott vor, daß ich Sie noch den Sohn erziehen lasse, nachdem Sie den Vater erzogen haben! Da sei Gott vor, daß eine so heilige und süße Pflicht je von

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