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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Reichen alle diejenigen zu ernähren versprochen, welche sich weder durch ihren Besitz noch durch ihre Arbeit Unterhalt zu verschaffen vermögen.« »Haben Sie es denn auch versprochen?« wird er entgegnen. »Unzweifelhaft; nur unter dieser Bedingung, die an jeden Besitz geknüpft ist, bin ich Herr der Güter, die meiner Verwaltung anvertraut sind.«

    Ein Anderer als Emil würde, wenn er diese Unterredung verstanden hätte, – und man wird sich dessen noch erinnern, wie man nach meiner Methode ein Kind zum Verständnisse bringen kann – sich versucht fühlen, mir nachzuahmen und sich als reicher Herr zu gebahren. In diesem Falle würde ich mich wenigstens zu verhindern bemühen, daß es in prahlerischer Weise hervortrete. Da würde mir noch angenehmer sein, daß er sich mein Recht anmaßte und heimliche Geschenke machte. Es wäre ein in seinem Alter liegender Betrug, und auch der einzige, den ich ihm verzeihen würde.
    Ich weiß, daß alle diese durch den Nachahmungstrieb hervorgerufenen Tugenden weiter nichts als Affentugenden sind, und daß eine gute That nur dann sittlich gut genannt werden kann, wenn man sie um ihrer selbst willen vollbringt, und nicht, weil Andere sie thun. Indeß in einem Alter, wo das Herz noch nichts empfindet, muß man die Kinder wol Handlungen nachahmen lassen, die ihnen zur zweiten Natur werden sollen, bis sie dieselben später aus eigener Ueberlegung und aus Liebe zum Guten zu vollbringen vermögen. Dem Menschen, ja selbst dem Thiere ist der Nachahmungstrieb angeboren. Diese Sucht zur Nachahmung ist von der Natur weislich geordnet. Der Affe ahmt dem Menschen nach, welchen er fürchtet, nicht aber den Thieren, welche er verachtet; er erkennt das für gut an, was ein höher stehendes Wesen thut. Unteruns dagegen ahmen die Lustigmacher jeglicher Gattung das Schöne nach, um es herabzuwürdigen und es lächerlich zu machen. In dem Gefühle ihrer Niedrigkeit suchen sie das, was besser ist als sie, zu sich herabzuziehen, oder man erkennt, wenn sie sich die Gegenstände ihrer wirklichen Bewunderung nachzuahmen bemühen, an der Wahl der Gegenstände den schlechten Geschmack der Nachahmer. Sie gehen weit mehr darauf aus, Andere zu täuschen oder ihre Talente bewundern zu lassen, als besser und weiser zu werden. Der tiefere Grund der Nachahmung unter uns entspringt der Sucht, beständig aus sich herauszutreten. Gelingt mir die Erziehung Emils, so wird derselbe sicherlich diese Sucht nicht theilen. Wir wollen deshalb auf das scheinbar Gute, was sie möglicher Weise hervorbringen könnte, gern verzichten.
    Wenn ihr alle eure Erziehungsregeln einmal gründlich untersuchen wolltet, würdet ihr sie alle gleich widersinnig finden, besonders aber in wie weit sie Tugend und Sittlichkeit betreffen. Die einzige sittliche Lehre welche für die Kindheit geeignet und gleichzeitig für jedes Lebensalter von höchster Wichtigkeit ist, lautet: Füge niemals irgend Jemand etwas Böses zu. Selbst die Vorschrift, Gutes zu thun, ist, wenn sie jener nicht untergeordnet wird, gefährlich, falsch und voller Widerspruch. Wer thäte denn durchaus nichts Gutes? Jedermann kann sich wenigstens auf einzelne gute Handlungen berufen, der Böse eben so gut wie alle Uebrigen. Er macht aber auf Kosten von hundert Unglücklichen nur einen Einzigen glücklich, und eben daher stammt all unser Elend. Gerade die erhabensten Tugenden sind negativer Natur und außerdem auch die schwierigsten, weil sie die Oeffentlichkeit nicht lieben und sogar über das dem menschlichen Herzen so süße Vergnügen erhaben sind, unsern Nächsten befriedigt von uns scheiden zu sehen. O, zu wie größerem Segen muß nicht derjenige seinen Mitmenschen gereichen, der ihnen nie etwas zu Leide thut, wenn es überhaupt einen solchen gibt! Welcher Unerschrockenheit der Seele, welcher Charakterstärke bedarf er zu diesem Zwecke! Aber nicht durch Anstellung gelehrter Untersuchungen über diesen Grundsatz, sondern durch denVersuch, ihn zur Ausführung zu bringen, lernt man erst, wie groß und schwer es ist, hierin Erfolge zu erzielen. [15]
    Das sind einige flüchtige Andeutungen über die Vorsicht, welche ich bei Ertheilung solcher Verhaltungsregeln für Kinder berücksichtigt zu sehen wünschte, die man zuweilen nicht umgehen kann, ohne sie der Gefahr auszusetzen, sich oder Anderen Schaden zuzufügen, und vorzüglich schlimme Gewohnheiten anzunehmen, die man späterhin nur mit Mühe würde wieder ausrotten können. So viel können wir uns aber versichert halten,

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