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Emil

Emil

Titel: Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dror Burstein
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Mutter kam nicht zu Besuch. Nie. Sie rief nur an, um sich zu vergewissern, dass [ ] noch am Leben war. Hängte dann gleich wieder auf.
    Sie schloss die Türen mit dem Schlüssel ab, weil sie Angst hatte, man würde eine Sozialarbeiterin zu ihr schicken. Doch er öffnete die Tür.
    Auch ans Telefon konnte er gehen.

Emil
    Einmal sah er im Fernsehen eine Horrorserie. Alles, woran er sich später erinnerte, war, dass immer wieder jemand die Worte
try to remember
sagte. Es hatte etwas mit Hypnose zu tun, einer Pendeluhr, roten Spielkarten, auf dem Schirm tauchte plötzlich ein Mann auf mit weißer Haut und auf der Wange eine Wundnaht und blickte direkt in die Kamera (doch Emil wusste nicht, dass da eine Kamera war), und aus seinen Augen begann plötzlich schwarze Tinte zu fließen.
    Joel, der aus der anderen Ecke des Wohnzimmers die letzten Sekunden schockiert mit angesehen hatte, ein Stück Kuchen in der Hand, deckte Emil mit der freien Hand die Augen zu und versuchte gleichzeitig, mit dem ausgestreckten Fuß den Fernseher auszuschalten. Das Gerät landete krachend auf dem Boden, und Lea kam ins Wohnzimmer gelaufen. Von heute an ist Schluss mit diesem Dreck. Aus, vorbei. Sie würde den Fernseher aus dem Haus schaffen. Emil, der im spannendsten Moment unterbrochen worden war, geriet in Rage, schrie, wenn sie den Fernseher aus dem Haus schaffe, dann werde er auf und davon laufen. Und sie sagte: Geh nur, ich halte dich nicht mit Gewalt fest. Mit einem Schlag eskalierte die Lage. Ich will, dass ihr mich zurückgebt, ich will zurück, nehmt ein anderes Kind, nehmt statt mir das kranke Kind, nehmt den alten Mann. Von Kindesbeinen an liebte er Horrorfilme. Das sollte auch später so bleiben. Er hatte ein Buch, in dem jemand im Schlaf lebendig begraben wird. Er wird betäubt, dann in einem nahegelegenen Hof in einer schon vorbereiteten Grube begraben. Als er aufwacht, ist er bereits unter der Erde. Immer wieder las er das Buch. Bis es in seine Träume einging.
    Joel saß im Wohnzimmer und sagte während des ganzen Streits kein Wort. Der Wortwechsel wurde immer heftiger. Emil versuchte, den Fernseher, der wie ein vergiftetes Ungeziefer auf dem Rücken lag, wieder einzuschalten, Lea zog die Schnur aus dem Stecker. Emil begann schrill und ohrenbetäubend zu schreien. Bei den Nachbarn ging das Licht an. Joel schwieg. Tat, als läse er im Buch. Blätterte sogar um und fuhr mit dem Finger die Zeilen entlang. Lea blickte in seine Richtung und schrie, Vielleicht tust du mal was. Joel hob den Kopf nicht. Wieder warf sie ihm eine bissige Beleidigung zu. Du und deine Bücher. Da sagte er, als läse er die Worte im Buch, ohne die Augen zu heben: In Ordnung, komm, zieh dich an, wir gehen. Emil hörte sofort auf zu schreien. Joel wiederholte sachlich: Zieh dir die Sandalen an, Emil, wir gehen, und stand auf, den Finger im Buch.
    Ich erinnere mich an seinen Finger, und ich begann zu zittern, dieses Zittern werde ich nie vergessen, diese Angst, die mich ergriff, es war wie ein Lastwagen, der auf einen zurast, wie ein Flugzeug, das Höhe verliert, wie glühender Sand, der einen verschlingt. Nie, nie werde ich das vergessen, und ich sah ihn an, er solle mir bestätigen, dass es nur ein Witz sei, doch er sagte: Mach schon, zieh die Sandalen an, sie schließen dort bald. Du willst doch nicht, dass du heute kein Bett zum Schlafen hast? Willst du mit dem alten Mann im selben Bett schlafen? Er stellte sich an die Eingangstür, drehte geräuschvoll den Schlüssel um, und ich ging, zitternd und schweißnass, auf die Tür zu, ich werde nicht vergessen, wie er mit dem Schlüsselbund an der Tür stand und wie er dazu pfiff, das werde ich nicht vergessen, und ich ging auf die Tür zu, das Gesicht zum Boden gerichtet, und meine Mutter, ich glaube, es war nur ein paar Monate vor dem Unfall, stand am anderen Ende des Flurs und sagte nur: Joel … und nichts weiter.
    Ich versank in einen schwarzen Abgrund. Ich wünschte, ich könnte einfach sagen, ›ich wurde ohnmächtig‹. In meinen Träumen viele Jahre später trat ich in dieses weiße Haus mit all diesen ekligen Kindern, und da war auch ein Kind, das eigentlich eine Kakerlake war, braun, groß, mit langen Fühlern, und sie sagten, deswegen hätten ihn seine Eltern dort gelassen. Wer würde ein solches Kind nehmen wollen? Und immer war ich dort allein, nicht einmal zurück zu meinem Babybett wollte er mich begleiten. Er ließ mich im Schnee vor der Tür aussteigen und fuhr sofort davon, noch bevor ich den

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