Emily, allein
zubereitete. Er nieste, als wollte er sie ausschimpfen.
«Seht», sagte sie. «Hör auf, dich wie ein kleines Kind aufzuführen.»
Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, als sie begriff, dass sie von sich sprach. Kay war tot, und sie schmollte wie ein Kind. Es war ihre eigene Schuld. Was hatte sie denn erwartet? Wenn man in ihrem Alter in so einem Heim untergebracht wurde, kam man da nicht mehr raus. Sie konnte sich glücklich schätzen, dass Henry nicht in ein Heim gekommen war.
Sie musste etwas essen, doch sie hatte gar keinen Hunger und goss sich ein Glas Wein ein. Sie nahm es mit ins Wohnzimmer, legte eine Bach-CD ein und setzte sich ohne Schuhe in Henrys Sessel, nippte am Wein und bewunderte die Muster auf dem Orientteppich. Da sie mittags nicht viel gegessen hatte, überkam sie eine angenehme Müdigkeit, die alle Gedanken außer Kraft setzte. Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und stellte sich vor, an Ort und Stelle einzuschlafen. Wen würde das schon kümmern?
Als sie sich ausmalte, wie sie mitten in der Nacht in ihrer guten Kleidung aufwachte, klingelte das Telefon. Der Anrufbeantworter lief - in ihrem Trübsinn hatte sie vergessen, ihn auszuschalten. Nach einer kurzen Wartezeit wurde die Nachricht abgespielt, und aus der Küche ertönte eine gutgelaunte Stimme: «Hallo. Hier spricht Lynn Swann von der Republikanischen Partei Westpennsylvanias. Wir möchten Sie daran erinnern, dass am Dienstag Wahltag ist…»
«Das weiß ich», sagte Emily.
Sie lehnte sich wieder zurück und schloss die Augen, doch die Stimmung war zerstört. Es war nicht einmal halb sieben, trotzdem wollte sie sich bloß noch im Bett verkriechen.
Sie dachte an Kay und erinnerte sich daran, wie Louise ihr kurz vor dem Ende gesagt hatte, sie wünsche sich nur, dass es bald vorbei sei. Ob das in Ordnung sei. Sie waren allein in ihrem Zimmer gewesen, einer ihrer seltenen klaren Tage, an dem das Schmerzmittel wirkte. Sie hatte befürchtet, ihre Söhne würden es nicht verstehen. Natürlich sei das in Ordnung, hatte Emily gesagt. Das glaubte sie immer noch. Man konnte es nicht als Aufgeben bezeichnen, wenn einem sowieso nichts anderes übrigblieb. Das Problem war gewesen, dass man damals nichts unternehmen konnte. Sie dachte, dass Kay keine andere Wahl gehabt hatte, und fragte sich, wie es bei ihr sein würde. Sie hatte den Kindern ihre Wünsche mitgeteilt. Was konnte sie sonst noch tun?
Sie hatte einen sauren Geschmack im Mund und spürte einen langsam einsetzenden Kopfschmerz, ein dumpfes, herzschlagartiges Pulsieren hinter dem Auge. Sie stemmte sich aus dem Sessel hoch und tappte in die Küche. Dort spülte sie ihr Glas aus und stellte es ins obere Fach der Geschirrspülmaschine, goss sich ein großes Glas Wasser ein und suchte dann ohne Hoffnung oder Verlangen in den Schränken nach etwas Essbarem.
Mandelblüten
Auch wochentags war die Van-Gogh-Ausstellung völlig überlaufen. In den Räumen wimmelte es von Schulkindern und gestressten Lehrern, die sich bemühten, den Lärm zu übertönen. Den Bussen entronnen, liefen die Kinder kreischend hintereinanderher wie im Turnunterricht und schlitterten über die gebohnerten Marmorfußböden. Das Museum bot eine Audio-Führung durch die Ausstellung an, sodass sich selbst einzelne Besucher in Gruppen versammelten und den berühmteren Gemälden schweigend ihre Ehrerbietung erwiesen. Für Emily sahen sie aus wie Versuchspersonen eines Experiments zur Gedankenüberwachung, die auf die Knöpfe eines kleinen schwarzen, mit ihrem Kopf verbundenen Kästchens drückten.
Während Emily und Arlene darauf warteten, dass sich die Menschenmenge vor den Sonnenblumen zerstreute, sahen sie sich eine Reihe von Gemälden an, die von Japanern inspiriert waren - vor allem von Hiroshige, einem ihrer Lieblingsmaler. Unter einem dunklen Himmel eilten gebeugte Gestalten in strömendem Regen über eine Brücke. Emily erschauderte voll Mitgefühl. Das Wetter draußen war nicht viel besser, was durch die hohen Fenster, die auf den spärlichen Verkehr und den glänzenden schwarzen Asphalt der Forbes Avenue hinausgingen, noch betont wurde. Sie hatte ihren Mantel unten abgegeben und spürte jetzt, dass sie zu frösteln begann.
«Guck mal, wie reißend der Fluss ist», sagte Arlene. «Das gefällt mir an ihm, alles ist immer in Aufruhr, alles ist in Bewegung. Sieh dir mal diese Pinselführung an.»
Das hätte auch eine Bemerkung zu ihren eigenen Werken sein können, den artigen, schmutzig farbenen
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